Auszüge Kapitel 5

Die Telefonistin Mascha

März - April 1943

 

 

Unsere Offensive ist steckengeblieben. Roshizkij ernennt mich zum Kommandeur des Zuges, der den Armeestab begleitet und ihm direkt unterstellt ist. Eine Reihe von Telefonisten beim Kompaniestab wird durch Telefonistinnen aus dem Reserveregiment abgelöst.

 

Meine neue Ordonnanz Korolew buddelt drei Tage lang einen neuen Unterstand für mich, in den Abhang einer Schlucht. Erdpritschen, dick mit Tannenzweigen belegt und mit Regenplane abgedeckt, als Fenster ein Stück Glas, ein Tisch aus Erde mit den Benzinlämpchen aus Granatenhülsen mit Docht anstelle von Lampen und als Tür wieder eine Regenplane.

 

Die Telefonistinnen verlieben sich eine nach der anderen in mich, aber ich Idiot bin der Meinung, mit Untergebenen keine privaten Beziehungen eingehen zu dürfen. Niemand ahnt, dass ich immer noch zu schüchtern bin und mich insgeheim ängstige, in der Tat hatte ich ja noch nie eine Frau gehabt.

 

Oleg dagegen hat schon eine Freundin.

 

Roshizkij lässt mich rufen und fragt, warum ich die Mädchen mit Missachtung strafe. Er selber hat sich einen ganzen Harem zugelegt, nutzt seine dienstliche Stellung aus, um die verschreckten Mädels zu seinen Geliebten zu machen.

 

- „Wenn du möchtest, schick ich dir heute mal Mascha Sacharowa vorbei?“

fragt er mich, „Oder lieber Nadja Petrowa?“

 

Es ist mir peinlich zu gestehen, dass ich noch nie eine hatte, lüge wieder und denke mir etwas von einer Moskauer Braut aus. Jede Nacht rufen mich mir unbekannte Generäle an und fordern mich auf, ihnen doch Vera, Mascha, Ira oder Lena zu schicken, und ich lehne es rundweg ab, verweigere es ihnen, entschieden und schroff, diesen Leuten aus dem Armeestab, den Artillerie-, Korps- und Divisionskommandeuren.

 

Ich werde überschüttet mit Mat, man droht mit Degradierung und Strafbataillon.

 

Bei meinen unmittelbaren Vorgesetzten ruft mein Verhalten Unglauben und Erstaunen hervor, welches schließlich in Respekt übergeht. Mich und meine Telefonistinnen lässt man zukünftig in Ruhe.

 

In diesen Angelegenheiten wenden sich viele Mädchen um Hilfe an mich, und mir gelingt es, wie es sich auch gehört, sie vor den obszönen Nachstellungen der von ihnen gehassten, alten Vorgesetzten zu schützen. Eine besonders traurige Geschichte spielt sich mit Mascha Sacharowa ab.

 

Sie war eine der ersten, die uns aus der Reserve überstellt wurde. Nach Abschluss der Zehnten Klasse begab sie sich an die Front, die Heimat zu verteidigen. Neunzehnjährig, schlank, hübsch.

 

Um 23 Uhr übermittelt mir der diensthabende Stabsfeldwebel Kornilow einen Befehl des Politkomissars der Armee, General P. Dieser fordert das Erscheinen der Gefreitin Sacharowa in seinem Bunker, um Mitternacht, zwecks Erfüllung eines militärischen Auftrages.

 

Um was es sich bei dieser Aufgabe handelt, ist klar, Mascha erbleicht und fängt an zu zittern. Ich schicke sie in die Frontlinie, rufe in der Politabteilung an und melde, dass der Vollzug des Befehles auf Grund ihrer Abwesenheit nicht möglich sei. Daraufhin erreicht mich eine Serie von Anrufen, in vielfach abgestuftem, grobem Mat mit der Anordnung, sie zu holen, wo auch immer sie sich befände. Auf meine Bitte kommandiert mich mein Kompaniechef dann zu irgendeinem Divisionsstab.

 

Ich bin also abgetaucht. Der General legt sich allein schlafen. Womit ich nicht gerechnet habe: Mascha verliebt sich in mich.

 

Der General kann sich allerdings nicht beruhigen, ruft jeden Tag an und droht mir bei Befehlsverweigerung mit dem Kriegsgericht. Der Kompaniechef erscheint und schlägt mir vor, sie eine Zeitlang zu einem Frontregiment zu versetzen. Mascha, meine Ordonnanz und ich machen uns also auf Richtung Westen, aber unterwegs überrascht uns in dem Örtchen Lubawitsch die Nacht.

 

Ich finde eine Telefonzentrale der Armee, in der Hütte Etagenbetten, der Tisch mit Vermittlungsstation, Telefonen und flackernden Benzinlämpchen, dahinter der diensthabende Leutnant, an der Vermittlung ein Sergeant und nur ein freier Platz auf den Pritschen, den ich Korolew zuweise, während ich mich mit Mascha auf die Erde lege, auf der es allerdings kalt und unbequem ist. Ich befehle ihr, aufzustehen, entledige mich meines Mantels, breite ihn aus, lege mich darauf und schlage ihr vor, sich, neben mir, ebenfalls auf ihm niederzulassen und sich mit ihm zuzudecken, aber ruhig zu liegen, nicht zu sprechen: die Augen schließen und schlafen. Sie aber schmiegt sich unerwartet an mich und knöpft zügig meine Bluse auf, Lippen weit geöffnet, ein flehender Blick. Ich fange an zu zittern, ich liebe sie doch gar nicht, hier in Lubawitsch hatte ich mich auf den ersten Blick in eine Telefonistin verliebt, aus der Nachbareinheit, Moskauerin, Studentin der Philologie, und sie sich in mich auch.

 

Nein, Mascha möchte ich nicht. Ich befreie mich aus dem Mantel, gehe nach draußen und schaue in die Sterne.

 

Das andere war ein richtiger Roman, aber ein außerordentlich seltsamer. Wir verbrachten eine gemeinsame Nacht, und hinterher versuchten wir, bis zum Ende des Krieges, uns wiederzufinden, was aus irgendwelchen Gründen nicht gelang.

 

Insgesamt fünf Mal ließ sie sich von ihrer Einheit beurlauben, fand auch meine Soldaten und übergab ihnen Briefe, aber jedesmal befand ich mich irgendwo vierzig Kilometer entfernt, und wenn ich ihre Einheit gefunden hatte, war sie irgendwohin abkommandiert worden.

 

Aber ich komme vom Thema ab, ziemlich weit sogar.

 

Nach einem Monat begann mein Freund, der Unterleutnant Sascha Kotlow, Mascha Sacharowa den Hof zu machen, und sie wurden Mann und Frau, allerdings nicht auf dem Papier, und ich war mit beiden befreundet.

 

Sascha hatte allerdings nicht berücksichtigt, dass dieser General Mascha keineswegs aus den Augen verlor. Der Chef der Politabteilung der Armee war eifersüchtig und versuchte mit allen Mitteln, diese wunderbare Verbindung zu zerstören. Zunächst versetzte er Kotlow wer-weiß-wohin und probierte dann wieder und wieder, Mascha zu sich zu locken.

 

Unbemerkt vom General half ihr meine ganze Kompanie, und nicht nur die. So blieb dem General nur eines: sich für sein Liebespech an Kotlow zu rächen.

 

Zweimal schickten unsere Vorgesetzten die Unterlagen für eine ihm zustehende Beförderung, zweimal schickten sie Anträge an den Armeestab, Sascha auszuzeichnen.

 

Der General passte auf: Absage kam um Absage, auf den Protest des stellvertretenden Artilleriekommandeurs erfolgte gar keine Antwort, auf telefonische Nachfrage erhielt man mündliche Auskünfte in obszöner Form oder zynischer: erst die Sacharowa, dann Beförderung und Orden.

 

- „“Hahaha!“ lacht unser neuer Kompaniechef, Hauptmann Tarasow, „was ein Kindskopf, dieser Kotlow, ich beschütze ihn nicht. Sie sind doch sein Freund, erklären Sie ihm, dass er so nichts erreichen wird.“

 

Ich schließe die Augen. Erinnere mich.

 

Kotlow schüttelt stur den Kopf, ihm will nicht einleuchten, dass er ein Kindskopf sei. Tarasow rutscht auf dem Stuhl hin und her und schaut mich an.

 

- „Ich denke, dass Kotlow Recht hat und es höchste Zeit wird, dem widerwärtigen Treiben dieses schmierigen Generals ein Ende zu setzen“, bemerke ich.

 

- „Ach, Rabitschew, er ist und bleibt ein Kind, der Befehlshaber ist auf Seiten des Generals, Kotlow steht allein gegen alle.“

 

Der Krieg ist zu Ende. Auf Bitte des abkommandierten Sascha begleite ich in Ungarn die schwangere, demobilisierte Mascha bis Siofok.

 

Sie reist freudig ab und ist sich sicher, dass ihr Sascha nach einem Monat folgen wird, aber sie behalten ihn für vier Jahre bei den Besatzungstruppen, in seiner Misere beginnt er zu trinken und geht im Suff schnell wechselnde Beziehungen mit verschiedenen Frauen ein.

 

Das Baby wird geboren, drei Jahre wartet Mascha und heiratet dann einen einbeinigen Kriegsversehrten, der sich in sie verliebt hatte..

 

Ein Kind - das also ist ein Mann, der Karriere und gesellschaftliche Stellung zugunsten der geliebten Frau opfert.

 

Der Chef der Armeepolitabteilung, ein General, hat das Leben zweier Menschen zerstört. Vielleicht aber auch das weiterer dutzender oder hunderter Kriegsteilnehmer.

 

Wie soll ich das nennen?

 

Ich war damals 21, Sascha 22. Wir kämpften das dritte Jahr. Wir wussten nicht, ob wir den Krieg überleben werden, darüber dachten wir gar nicht nach.

 

Das Leben opfern für die Heimat, für Stalin, für den eigenen Zug, in der Erfüllung unserer Pflicht, für den Freund oder die geliebte Frau - das war ganz einfach natürlich, selbstverständlich und folgerichtig für einen produktiven Menschen im Krieg. Was waren dagegen die dämlichen, albernen Kindereien dieser ganzen saufenden, gegeneinander intrigierenden, sich selten an der Front aufhaltenden, in Orden und Beförderungen badenden Stabsbürokraten, blinde Erfüller der von oben kommenden Befehle.

 

Oder waren nicht alle so?!

 

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