Kapitel 7

Am Strand

Ach, wie hat sich mein Leben verändert! Sina flog ins Zimmer, klatschte in
die Hände, machte einen Knicks und platzte heraus: „Mikki! Mein vergötterter
Prinz...wir fahren ans Meer“.
Sofort bin ich nach unten gesprungen, zur kleinen Hundedame der Concierge.

Sie ist am Meer geboren und empfindet für mich, glaube ich, mehr
als Sympathie.
„Kiki, mein kleiner Muff, mich will man an’s Meer fahren. Was ist das denn
eigentlich, Meer?“
„O! Das ist eine Menge Wasser. Bestimmt zehnmal mehr, als im Brunnen
im Jardin du Luxembourg. Und immer Durchzug. Mein Frauchen hatte es
gut, sie konnte sich Watte in die Ohren stopfen. Das Meer...ja, mal knurrt es,

dann zischt es, oder es ist ruhig. Alles ist da so unordentlich.
Immer gibt es Fisch zu essen. Die Kinder buddeln im Sand und treten den
Hunden auf die Pfoten. Aber du bist ein Foxterrier, für dich werden sie
Stöckchen ins Wasser werfen, die du wieder herausholen kannst.“
„Ist doch wunderbar!“
„Wenn du davon müde wirst, gehst du über das Hügelchen in den Wald.
Da kannst du Maulwurfshügel aufbuddeln oder dich in Erika wälzen.“
„Was soll das denn sein?“
„So gekräuseltes Gras, wie Bärte. Lila Blüten und riecht nach Terpentin.“
„Naja, schönen Dank erstmal, gib Pfötchen. Soll ich dir vom Meer ‘was
mitbringen?“
„Vielleicht kannst du irgendwo einen neuen Kinderschal klauen,
meiner ist schon so abgewetzt.“
„Kiki, ich bin ein ehrlicher Hund, so etwas kann ich einfach nicht! Aber heute
haben wir Gäste, da habe ich bestimmt Gelegenheit, für dich einen

Schokoladenhasen zu stiebitzen.“
„Merci, leb’ wohl, Mikkichen!“

Sie verschwand um die Ecke und wischte sich am Vorhang ein paar Tränen
aus den Augen. Höchstwahrscheinlich ist sie in mich verliebt.


                                                 ***

Ha, „zehnmal größer als der Brunnen im Jardin du Luxembourg...“, der
kleine Muff hat doch überhaupt kein Augenmaß: 2o Mal größer!
Bis zum Himmel Wasser, und weiter nichts. Salzig wie ein Hering... warum
eigentlich? Regen ist doch Süßwasser, und im Flüsschen im Wald, das ins
Meer fließt, ist ebenfalls Süßwasser  -  und?

Die Leute laufen hier fast nackt herum, nur in gestreiften oder schwarzen
Mäntelchen. In den Löchern unten werden die Beine eingesetzt,  die
Knöpfe befinden sich an den Schultern. Mit einem Wort: dumm.  
Gottseidank kann ich ohne Anzug baden.

Ach, was Sina und ich alles im Wasser aufführen! Ich belle die Brandung an,

und sie wirft mir einen Ball zu - aber der ist groß und glitschig, zum Teufel,
ich schaff’s nicht, richtig reinzubeißen! Wuff!

Alle Kinder sind schon meine Freunde. Die ganz kleinen können noch nicht
einmal „Mikki“ sagen und nennen mich „Mi“. Sitzen im Sand und machen
Blasen aus Spucke. Eins versucht unermüdlich, sein Füßchen in den Mund
zu schieben. Wozu?

Ich renne herum, rette die Spielzeugschiffchen der Kinder aus Seenot,
springe über Sandburgen, veranstalte Wettrennen mit dem Pudel Jack und
bin überhaupt am ganzen Strand bekannt: „Guckma diesen charmanten
Foxterrier! -  Wem gehört der denn?  -  Sina? Ein bemerkenswerter Hund!“

Gestern heimlich geguckt. Bei den Kindern keinerlei Hundeschwanz ent-
deckt. Umsonst gezweifelt...

                                           ***

Jetzt ein Wort über die Erwachsenen. Die Männer laufen in weißen Anzügen
umher. Den halben Tag rauchen sie, den halben Tag lesen sie in Zeitungen.
Den halben Tag baden sie, den halben Tag fotografieren sie.

Aber schwimmen können sie. Ich liege am Anleger und gucke ihnen zu,

aber wenn sie ganz weit hinausschwimmen, kriege ich Angst:

was, wenn sie plötzlich ertrinken? Wie soll ich da zur Hilfe kommen?

Sehr niedlich, wenn sie vom Anleger ins Wasser springen.

Hände an die Hosennaht, Kopf hoch - und platsch!

Kommen wieder an die Oberfläche wie Fische, Hände unten  -  und

gleich wieder hinein. Gischt ...  weiter erstmal
nichts ... und dann tauchen sie ganz woanders wieder auf.

Ich hatte ein kleines bisschen Angst, aber vom Anleger springen wollte ich
auch: bin hochgeklettert, aber  -  wie hoch war das! Und wie tief! Am ganzen
Körper zitternd habe ich mich umgeguckt und bin unauffällig wieder herunter-
geklettert. Na, war nicht dein Tag, Mikki...

Die Damen? Die kleiden sich an, dann kleiden sie sich um. Dann ziehen sie
andere Klamotten an, damit sie sich wieder umziehen können. Es gibt welche, die schwimmen auch. Aber im Allgemeinen lieben sie das Wasser
nicht so sehr. Probeweise wird der rechte große Zeh ins Wasser gehalten,
dann warten sie ab, schauen, bücken sich, bespritzen sich mit  ein wenig

Wasser und gehen sonnenbaden. Am Strand liegen sie wie Truthühner
in der Vitrine vom Schlachter.

Außerdem mögen sie fotografiert werden. Ich habe das beobachtet.

Eine liegt im Sand, hinter ihr kniet eine andere, und die dritte guckt

aus einem Boot über alle hinweg. Das nennt sich Gruppenbild.

Der Fotograf hat ein Schild mit dem Namen unseres Kurortes in den

Sand gesteckt. Die unterste Dame, deren Schönheit vom Schild ein

wenig verdeckt wird, schiebt es sacht zur Seite, vor die andere,

die es vorsichtig wieder zurückschiebt. Wieder hin,
und wieder zurück, die Damen lächeln, aber was für

böse Augen sie haben!

Gedicht:       Werden Damen fotografiert
                    Tut eine die andere schieben
                     aber sie riskiert
                     Fingernägel abzukriegen!...

Unglaublich, aber ich hab’s selber gesehen! Manchmal wird das

Meer verrückt und haut einfach ab. Der Kurort hängt ihm zum

Hals ‘raus oder was, keine Ahnung. Am Strand bleiben alle Arten

Muscheln, Krabben und Schnecken zurück. Sina behauptet,

das sei alles Meeresgewürm.
Hinterher wird’s dem Meer mit sich langweilig und es kommt zurück.

Dieses kindische Verhalten nennt man Ebbe und Flut.

Unser Meer heißt aus irgendwelchen Gründen Ozean, und ich hatte vor, ihn
zu verfolgen, um zu sehen, wohin er entschwindet. Sina hat mich aber mit
ihrem Strumpf an einer Bank festgebunden.
Überhaupt nicht wissensdurstig, die Göre!

Gestern habe ich in einer Nachbarpension eine russische Köchin

kennengelernt - Darja. Finger hat sie so dick wie italienische Würste,

aber insgesamt ist sie sehr liebenswürdig. Nennt mich zwar Mikkitoi,

aber brummelt immer vor sich hin, dass ich mit meinen Pfoten

lauter Sand in die Küche schleppen würde. Den kann man doch ausfegen!

Was die für Probleme hat!

                                           ***

Das Essen ist so la-la. Ich mach’ mir zwar nichts daraus, aber alle Kinder
füttern mich mit Schokolade, Hackbällchen und allem, was ich nur möchte.
Sina bittet mich ständig, nicht so viel zu fressen, sonst bekäme ich noch Herzverfettung und dann seien sie gezwungen, mich zur Kur nach
Marienbad zu fahren.

Aber mal ernsthaft: wäre so ein Kurort für Hunde nicht toll? Zum Beispiel
Foxenbad! Ein Hundekino könnte man dort eröffnen oder Pferderennen

für Hunde veranstalten, es gäbe Hunderoulette und ein Hundesanatorium

für Bulldoggen mit Gicht  ...

Vor Ärger werde ich eines Tags noch platzen! Warum, warum, warum  wird

absolut nichts für uns Hunde getan?
Katzen gibts hier nicht. Keine einzige. Keine halbe. Nicht mal ‘ne Viertelkatze.
Sollten die alle ins Hackfleisch gewandert sein? Brrr!...
Nee, doch nicht, bin in die Küche gelaufen und habe  nachgeguckt: 

nur  Hühnchen, Kalbfleisch, Lamm...  sonst wäre ich hier aber auch abgehauen,
egal wohin.

Sina hat für mich eine Mondfinsternis inszeniert.
Abends war der Mond unglaublich rund, riesig und blass.

Ungefähr so, wie der Bauch unserer Pensionswirtin.
Ich wurde nachdenklich und ein bisschen traurig. Ganz ganz ganz wenig
fing ich an zu heulen, höchstens zwei oder drei Töne... aber Sina hat sich
mich sofort gegriffen und mir die Badehose über den Kopf gezogen.
„Du!“ sagt sie, „nach 10 Uhr darfst du doch nicht heulen!“
Naja, erstens habe ich keine Uhr, nicht mal eine Westentasche für sie, und
zweitens, also, die Stimmung hängt doch nicht von der Uhrzeit ab!

Ich wollte Kiki noch eine Postkarte mit Grüßen schicken, aber die Concierge
ist eine eifersüchtige Hexe, die gibt sie bestimmt nicht weiter.

Der charmante und bemerkenswerte
Fox Mikki