Kapitel 23 - 25: Ankunft in Paris und Hotelsuche

Kapitel 23

Guckt, da sind Russen!

Insgesamt leerte Nikolai Iwanowitsch zwei Flaschen Rotwein mit dem Schaffner.

Mit der zweiten brachte dieser auch Weißbrot und Käse sowie eine Birne
für Glafira Semjonowna, die er ihr mit der Galanterie eines vollendeten

Kavaliers anbot. Sein Auftreten, das sich stark vom mürrischen Gehabe

der deutschen Kondukteure abhob, ermunterte unsere Eheleute auf ihrer

Reise nicht wenig, und nachdem morgens in Verhiers der Zöllner einen

nur oberflächlichen Blick auf ihr Gepäck warf, beginnen sie beruhigt zu

dösen, alle Räuber und andere Unannehmlichkeiten vergessend.

Erwachend, ist es schon heller Morgen und freundlich bescheint eine

strahlende Sonne  vor dem Fenster vorbeihuschende steinerne

Bauernhäuschen, die vollständig zugewachsen sind, und spielt mit ihren

Strahlen auf noch grünen Wiesen, mit dem schon gelb werdenden

Blattwerk alleinstehenden Eichen und den blauen Bändern der Flüsse,

die in der Ferne entschwinden.

Glafira Semjonowna sitzt am Fenster des Coupes und genießt den Ausblick.
Schon bald erscheinen statt der Bauernhäuser größere Gebäude , Laden-
schilder, eiserne Gitterchen vor Gärten und hohe Fabrikschornsteine, leichten
Qualm ausstoßend, als Glafira aufschreit: „Батюшки! Da hinten ist der Eiffel-
   turm - den kenne ich von Bildern. Nikolai Iwanitsch - freue dich, wir fahren
   in Paris ein!“
-  „Echt?“ ihr Mann springt ans Fenster.
-  „Da hinten, da hinten... siehst du?“
-  „Jaja... der Eiffelturm... das ist er.... „Beendet, beendet ist der lange Weg,
    die Heimat seh ich wieder...“ beginnt er anzustimmen.

Jetzt können sie Straßen sehen, die Häuser werden größer und größer,

Kirchen mit gotischen Kuppeln sind zu sehen und immer mehr Menschen,

als der Zug plötzlich langsamer wird und das Kreischen der Bremsen

zu hören ist. Nach kurzer Zeit halten die Wagen am Bahnsteig, auf dem

sich Gepäckträger mit Kepis und Schildchen an der Brust tummeln.

-  „Angekommen... Angekommen in Paris!“ freut sich Glafira, während der
    Schaffner die Coupetür öffnet, in der ein Gepäckträger erscheint und

    seine Dienste anbietet.
-  „Oui, Oui... Prenez но саквояж“, bittet sie, „et cherchez coche pour
    partir a gotel. Nikolai Iwanitsch! Nimm doch das Bettzeug - was stehst du
    herum wie ein Ölgötze!“
-  „Une voiture, Madame?“ fragt der Träger.
-  „Да, да,... voiture... и encore наш bagage“, sie reicht ihm den
    Gepäckschein.

Das Gepäck wird geholt und der Träger schleppt alles auf dem Rücken zum
Ausgang, dicht gefolgt von unserem Ehepaar. Es wimmelt von Menschen,
und trotzdem erregt Nikolai Iwanowitsch keine geringe Aufmerksamkeit mit
dem riesigen Berg Bettzeug, das er auf beiden Armen trägt. Irgendein

Straßenjunge, Eintrittskarten für die Weltausstellung anbietend, schreit sogar:
   „Voyons, ce sont les russes!“

Ein Schutzmann in blauem Umhang und Kepi, gezwirbeltem Schnurr- sowie
Spitzbart winkt in Richtung der in Reihen wartenden Kutschen, von denen
sich eine kleinere in Bewegung setzt, der Kutscher auf dem Bock rothaarig,
glattrasiert und fett mit einem weißlackierten Zylinder. Das Gepäck wird auf
dem Dach untergebracht, dem Gepäckträger ein ganzer Haufen Fünfer, wie
Nikolai Iwanowitsch die kupfernen 10-Centimes-Münzen zu nennen beliebt,

in die Hand gedrückt und die Eheleute setzen sich hinein, fast verdeckt vom
Bettzeug.
-  „Готел какой-нибудь... dans готел...“ befiehlt Glafira.
-  „Quel hôtel, Madame?“
-  „Ach herrje, du lieber Himmel... keine Ahnung - quel. Je ne sais pas.
    Nikolai Iwanowitsch, quel?“
-  „Ja woher soll ich das wissen?“
-  „Всё равно, cocher. C’est egal, quel... un готел, нам нужно chambres..
    и de lits...“
-  „Je comprends, Madame. Mais quel quartier desirez-vous?“
-  „Glascha! Was sagt er?“
-  „Habich keinen blassen Schimmer. Un chambre dans готел. Nous
     voyageurs, nous de Russie...“

Der immer noch wartende Schutzmann sagt jetzt irgendetwas zum Kutscher,
der nur mit dem Kopf schüttelt und das Pferdchen antreibt, dabei die Peitsche
schwingend, aber auf die Straßenjungen zielt, die ans Fenster der Kutsche
springen und Blumen und alles Mögliche verkaufen wollen.
Schon nach zehn Minuten hält er vor einem Eingang und ruft: „Voyons!“
Ein Diener mit Pudelfrisur, schwarzer Jacke und Umhang bis zum Boden

springt herbei. „Une chambre pour les voyageurs“ verlangt der Kutscher,

aber der Diener schüttelt ablehnend den Kopf, es sei alles belegt.
-  „Une chambre avec des lits...“ verlangt auch Glafira Semjonowna.
-  „Point, Madame...“ breitet er seine bedauernd seine Hände aus.

Der Kutscher zockelt weiter. Im zweiten Hotel die gleiche Antwort, im dritten
ebenfalls, im vierten antworten sie erst gar nicht, der Portier winkt nur ab,

als er die Kutsche mit Gepäck erblickt. Mehr als eine halbe Stunde irrt unser
Ehepaar nun schon herum.
-  „Nirgends gibt es Zimmer! Was machen wir denn jetzt?“ Nikolai Iwano-
   witsch wird nervös.
-  „Weiter suchen, in der Kutsche können wir kaum nächtigen“.

Der Kutscher dreht sich um, schaut durchs Fenster und murmelt etwas.
-  „Allez, allez...“ deutet ihm Glafira gestenreich an, „une chambre, nous ne
    pouvons sans chambre... надо chercher encore hôtel“.
Beim fünften das Gleiche, der Portier winkt nur schweigend ab.
-  „Eine Pleite nach der anderen“, erregt sich Nikolai Iwanowitsch, „kann man
   nicht die Polizei einschalten? Glascha! Versuch’s doch mal mit Trinkgeld...
   Monsieur, Monsieur...“ winkt er den Portier heran und zeigt ihm eine
   Münze: „Вот на чай... prenez...“
-  „C’est poure boire“, verbessert Glafira, „prenez et donnez nous une
    chambre...“
-  „Mais nous n’avons pas, Madame“, antwortet dieser, das Geld trotzdem
    einsteckend.
-  „Je comprends, je comprends... а где есть chambre? Où chercher?“

Der Portier bespricht etwas mit dem Kutscher und zeigt irgendwohin.

-  „Das funktioniert!“ freut sich Nikolai Iwanowitsch, „Trinkgeld lockert die
   Zunge, pass auf, gleich haben wir ein Zimmer“.

Nachdem ihr Kutscher ein paar Mal abgebogen war, hält er in einer ziemlich
finsteren Gasse mit schmutzigen, winzigen Läden vor einem riesigen, grauen,
sechsstöckigen Haus, dessen Dach an den Himmel zu stoßen scheint. Er
krabbelt vom Bock, begibt sich zum unscheinbaren Eingang und kommt mit

einer dürren Alten in weißer Haube zurück.
-  „Une chambre avec des lits...“ wendet sich Glafira an sie.
-  „Ah, oui, Madame, ayez la bonté de voir seulement“, sagt die Alte und
    öffnet die Kutschentür.
-  „Na also, ein Zimmer!“, frohlockt Nikolai Iwanowitsch, „hab ich’s nicht
    gesagt!“

Man begibt sich zum Eingang.

Kapitel 24

Drei französische Etagen

Im Eingang hängen Plakate von Theatern und Zirkussen sowie das „Petit
Journal“, es riecht nach Gebratenem. Links im Treppenhaus sieht man ein
Zimmerchen mit einem Alten in einem abgetragenen grauen Jackett, mit
grauen Stoppeln, einer runden, silbernen Brille und bestickten Pantoffeln.
Die Alte im Häubchen führt unser Ehepaar das hölzerne, enge und
schraubenförmige Treppenhaus hinauf.
-  „Quel étage?“ fragt Glafira sie.
-  „Troisième, Madame“, antwortet die Alte und marschiert forsch vorweg.
-  „In der dritten Etage?“ fragt Nikolai Iwanowitsch seine Frau.
-  „In der dritten. Na und, ist ja nicht so hoch hier“.

-  „Erste - zweite - dritte - vierte!“ zählt Nikolai Iwanowitsch mit, „Позвольте,
    Маdамe! Das ist ja schon die Vierte! Warum sagen Sie denn dritte...
    Glascha, nun erklär ihr doch... Wohin führt sie uns denn?“
-  „Vous avez dire - troisième..“ beginnt Glafira, schon atemlos, „А ведь
    это...“
-  „Oui oui, Madame, le troisième... noch ein kleines bisschen höher...“
-  „Was, noch höher? Sollen wir verrecken? Die führt uns auf den

    Schornstein, das ist doch schon die fünfte... Glascha!“
-  „Cinque, Madame, cinque...“ keucht Glafira.
-  „Mais non, Madame, c’est le troisième...“ beharrt die Alte und führt sie
    durch einen Korridor.
-  „Ja verdammt noch mal, meint die, wir können nicht zählen... die fünfte,
    Glascha, nun sag ihr doch...“
-   „Hat doch keinen Sinn...“

Die Alte öffnet eine Tür und: „Voilà, Monsieur!“

Nikolai Iwanowitsch schaut sich um und ruft: „Das ist doch ein Käfig hier,
    hier findet man ja allein kaum Platz....  außerdem, hier gibts nur ein Bett,
    wir brauchen aber zwei!“
-  „Deux lits... deux..“ erklärt Glafira.
-  „Oui, Madame, je vous mettrai...“
-  „Sie sagt, sie stellt ein zweites auf“.

Unser Ehepaar schaut sich im Zimmer um. Ein altehrwürdiges Bett aus

rotem Holz hinter einer Art Gardine, etwas Diwanähnliches, drei Stühle,

ein rundes Tischchen und ein Schrank mit Spiegeltür - das ist die

ganze Einrichtung.
Die beiden großen Fenster sind bis zur Mitte mit schmiedeisernen

Gittern versperrt und auf der gegenüberliegenden Seite der engen Gasse

blickt man in exakt die gleichen, auf deren einem Gitterchen ein Kinderkleid

zum Trocknen aufgehängt ist, während im anderen eine zersauste Dame,

nur mit ihrer Korsage bekleidet, mit irgendeinem Kleid mit aller Gewalt

auf das Gitter einschlägt, augenscheinlich seit geraumer Zeit.

-  „Paris, so so,“ sinniert Nikolai Iwanowitsch, „lohnt es sich, nach

   Paris zu fahren, um sich in so einer Bude wiederzufinden?“
-  „Trotzdem müssen wir das Zimmer nehmen, wir müssen ja irgendwo
   unterkommen, wir können ja nicht bis in die Nacht durch die Stadt fahren
   und suchen. Mehr als zwei Stunden irren wir schon herum, weiß der
   Himmel, bei wie vielen Hotels wir schon waren“, entscheidet Glafira

   Semjonowna und wendet sich zur Alten: „Et le prix? Combien?“
-  „Dix Francs, Madame...“ sagt diese ganz ruhig.
-  „Wie bitte? 10 Franken?“ entfährt es dem ungläubigen Nikolai Iwanowitsch,
   „das ist doch der nackte Raub! 10 Четвертак zu 40 Kopeken... das sind
    vier Rubel! Ausgeplündert wird man!“

Obwohl der Ausbruch auf Russisch erfolgt, wird er ohne weiteres verstanden,
und die Alte zuckt nur mit den Schultern und winkt leicht ab: „Das ist wegen
   der Ausstellung, Monsieur“.
-  „Sie sagt, es sei wegen der Ausstellung so teuer“ erläutert Glafira.
-  „Trotzdem Ausplünderung... so ‘ne Hütte unterm Dach kriegst du bei uns
    in Petersburg für einen halben Rubel am Tag, und noch mehr für 75 Ko-
    peken... 4 Rubel...Gut, bezahle ich vier, bezahle ich auch fünf, aber ein
    richtiges Zimmer will ich dafür haben“.
-  „C’est chèr, Madame“, versucht es Glafira, aber umsonst.
-  „Gibts kein besseres? Glascha! Frag doch!“
-  „Vous avez bonne chambre? Nous voulons bonne chambre!“
-  „A présent non, Madame“.
-  „Und jetzt?“ guckt Nikolai Iwanowitsch auf seine Ehefrau.
-  „Wir müssen es nehmen, wir können uns nicht noch einen halben Tag
    durch Paris schleppen“.
-  „Aber es ist so hoch wie der Turm vom petersburger Stadtrat“.

-  „Wir suchen uns später etwas Besseres, jetzt müssen wir damit vorlieb    
    nehmen“.
-  „Diese Verfluchten! Räuber! Schreien den Russen Hurra, und an-
    schließend... Wölfe im Schafspelz...“
-  „Eh bien, Madame?“ fragt die Alte mit einem Blick auf Nikolai Iwanowitsch.
-  „Oui, nous prenons... делать нечего... notre bagage....“.
    
Glafira Semjonowna beginnt, sich des Regenmantels zu entledigen, die Alte
klingelt, um nach dem Gepäck zu schicken, Nikolai Iwanowitsch steigt die
Treppe wieder hinab, um mit dem Kutscher abzurechnen und zählt dabei die
Stufen. Er kommt auf 83.

-  „83 Stufen...83 Mal die Füße heben, 5 Treppenabsätze... und das nennt sie
    dritte Etage...“ spricht er bekümmert vor sich hin, „Teufel, alles Teufel hier“
    und „Combien?“, zum Kutscher gewandt, und greift sich schon eine Hand-
    voll Silber aus der Manteltasche.
-  „Huit Francs, Monsieur“ bringt dieser, nach einigem Nachdenken, schließ-
    lich heraus.
-  „Как huit Francs? То-есть восемь франков? Hast du irgendwas ge-
    raucht? Acht Четвертак zu vierzig... das sind ja 3 Rubel zwanzig!“ ruft
    Nikolai Iwanowitsch empört auf russisch und wendet sich an den Alten,
    der, vor seinem kleinen Kontor stehend, sich Richtung Ausgang begibt,
    „Monsieur... huit Francs хочет...  Sie haben doch bestimmt einen Tarif
    hier, das kann doch nicht sein, dass das nach Tarif...“

Der Alte bespricht sich mit dem Kutscher, teilt Nikolai Iwanowitsch dann
etwas auf Französisch mit und zählt irgendwas mit den Fingern auf seiner

Handfläche zusammen, das der nicht versteht. Nikolai Iwanowitsch spuckt

aus, greift sich zwei 5-Francs-Stücke und reicht sie dem Kutscher mit den

russischen Worten: „Nie im Leben kriegst du drei Rubel, und wenn du dich
   auf den Kopf stellst, hier nimm die zwei und hau ab... Allez...Вон...
   allez...“ und wedelt mit der Hand, den Kutscher wegschickend.

Dieser, acht Francs verlangend, zehn erhaltend und weggeschickt, verspürt

kein Bedürfnis, das Wechselgeld herauszugeben und wundert sich nur.

Er lächelt, setzt seinen Zylinder wieder auf, gibt dem Pferdchen die Peitsche

und fährt mit einem „Merci, Monsieur“ los.

Der Alte wundert sich über die Großzügigkeit des Reisenden, zuckt dann

aber die Schultern und murmelt vor sich hin: „Ach, Russen. Die kenne ich

   schon, die Russen. Lieben es, sich über alles aufzuregen, und sind dabei

   doch das freigebigste Volk“.
 
Nikolai Iwanowitsch, in der Überzeugung, dass 5 Francs einem Silberrubel
entsprächen, glaubt in seiner Einfalt, den Kutscher um 1 Rubel zwanzig übers
Ohr gehauen zu haben und folgt dem Diener, der das Gepäck trägt, schon in
einem wesentlich ruhigeren Gemütszustand die 83 Treppenstufen hinauf,
dabei mit sich selbst sprechend: „Zwei Rubel... Dabei sind zwei Rubel schon
   unglaublich teuer für so eine kurze Fahrt... eigentlich sind wir nur von einem
   Haus zum andern geirrt und gefahren so gut wie gar nicht...“.

Glafira Semjonowna trifft er bei der Bestellung von Kaffee an: in einem

löchrigen Jackett und mit Filzpantoffeln, eine weiße Kochmütze aus Papier

auf dem Kopf, steht vor ihr ein junger Diener, dessen dümmliches Gesicht

ein Henri IV. schmückt, und bestätigt ihr: „Madame veut café au lait... Oui, oui...“

-  „Ich bestelle uns Kaffee, wir müssen jetzt irgendwas trinken“ erklärt  Glafira.
-  „Ja, sicher... Kaffee ist gut...“ überlegt Nikolai Iwanowitsch, “ und Bruder,
    bring uns noch Brot und Butter.... Glascha! Übersetz ihm doch!“
-  „Pain et beurre... и побольше... beaucoup...“.
-  „Pain, beurre...“ wiederholt Nikolai Iwanowitsch.
-  „Oui, oui, Monsieur, un déjeuner...“
-  „Да, да...мне и жене... ну, живо...“.

Der Diener entfernt sich, das Verlangte zu holen.

Kapitel 25

Cafe au lait

Kaum hat sich unser Ehepaar ein wenig erfrischt, erscheint auch schon

der Kaffee, vom selben Diener im selben abgetragenen Jackett auf einem

Tablett zusammen mit Sahne und Brötchen serviert.

Nikolai Iwanowitsch ist geradezu verstört vom Anblick der riesigen Kaffee-
becher, die ihm sogar das Ausmaß von Suppentassen zu übersteigen

scheinen, sowie den langen Dessertlöffeln, und kann sich nicht zurückhalten:  
    “Батюшки! Was für Tassen! Jungchen, das sind doch Eimer mit Schöpf-
    kellen! Wer soll denn daraus trinken? Da kann sich unsere Waschfrau ja
   die Füße drin waschen...“
Der Diener verbeugt sich und lächelt ihn freundlich an.
-  „Glascha! Nun übersetz doch!“
-  „Wie denn?“ antwortet sie etwas verlegen, „du suchst dir solche merkwür-
    digen Wörter aus, die kenn ich nicht auf Französisch... les tasses très
    grand...“  zur Sicherheit zeigt sie darauf, „pourquoi grand?“
-  „Oh, Madame, c’est toujours comme ça, vous avez demandé cafè au lait“.
-  „Hm, er sagt, die Tassen müssen so sein...“ übersetzt Glafira, „wahrschein-
   lich ist das so eine Angewohnheit hier, ist wahrscheinlich ein Kaffeeland“.
-  „Hast du ihm das mit der Wäscherin übersetzt?“
-  „Ich weiß nicht, wie die auf Französisch heißt“.
-  „Wie das denn? Ist doch ein Haushaltswort?“
-  „Na und, hab ich eben vergessen“.
-  „Und wie wollen wir hier waschen - wir müssen doch hier unsere Unter-
    wäsche zum Waschen geben...“
-  „Ach, da gucke ich im Wörterbuch nach... nun trink doch, was guckst du
   in die Tasse?“
-  „Das kann man doch nicht trinken, das muss man löffeln! Weißt du was,
    Glascha, die haben uns absichtlich diese Taufbecken gegeben, da
    können sie drei oder sogar vier Portionen berechnen... die reine Räuberei,
    denk an meine Worte, nachher stehen vier Portionen auf der Rechnung“.
-  „Nun trink schon, wir sind ja extra hierhergefahren, um uns die auslän-
    dische Räuberei anzugucken“.

Der Diener steht noch da, lächelt und fragt: „Voulez-vous encore quelque
    chose, Monsieur?“
Nikolai Iwanowitsch versteht das Wort ‘encore’ und ruft aufgebracht: „Как
    аncore? Как ещё? Bringt einen Eimer mit Kaffee und fragt noch, ob wir
    mehr haben möchten! Willst ein 40-Liter-Fass reinrollen, was?  Bist
    auf den Geschmack gekommen?  Geh mit Gott, aber geh. Hat der Kauf-
    mann in Köln die Wahrheit gesagt, dass sie einem hier das Fell über die
    Ohren ziehen...“

Der Diener wartet ab, lächelt weiterhin dümmlich und bemerkt endlich:
   „J’aime la langue russe...Oh, que j’aime, quand on parle russe!“
-  „Glascha! Was hat er gesagt? Was will er?“
-  „Er sagt, ihm gefällt das Zuhören, wenn russisch gesprochen wird“, antwor-
   tet Glafira, und zum Diener: „Allez“.

Der tritt von einem Bein aufs andere, geht aber nicht: „Votre nom, Monsieur“,
    sagt er schließlich: „Votre nom, votre carte... Il faut noter chez nous en...“
-  „Was sagt er, Glascha? Was will er?“
-  „Er fragt, wie wir heißen“.
-  „Ach so, паспорт? Сейчас, сейчас...“ und Nikolai Iwanowitsch beginnt
   hektisch zu suchen.
-  „Oh, non, Monsieur, le passeport ce n’est pas nécessaire. Seulement
   votre nom, votre carte“.
-  „Er sagt, den Pass brauche er nicht und bittet nur um deine Karte“.
-  „Wie kann das denn sein, wo hat man das denn gesehen? Die kennen
    uns hier doch gar nicht... vielleicht sind wir ohne Pass...“ Nikolai Iwano-
    witsch zuckt mit den Schultern und überreicht dem Diener seine Visiten-
    karte, der sich daraufhin verabschiedet.
-  „Glascha! Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, hier geht irgendwas vor!
    Wo hat man das schon gesehen, dass sie im Hotel nicht den Pass sehen
    wollen!“
-  „Was soll denn vorgehen?“
-  „Na, zum Beispiel: vielleicht wollen sie unser Gepäck stibitzen? Wir gehen
   in die Stadt, die Sachen bleiben hier, wir kommen zurück, und sie behaup-
   ten, wir seien doch gar nicht registriert, wir wären nie hier gewesen und
   schon gar nicht hätten sie unsere Sachen jemals gesehen!“
-  „Na sowas! Nicht auszudenken...“
-  „Warum haben sie den Pass nicht angeguckt? Das ist doch das Wichtigste
    im Hotel! Nein, da gehe ich auf jeden Fall nach unten und lege ihn an der
    Rezeption auf den Tresen. Das ist auf jeden Fall beruhigender, wenn sie
    ihn registrieren... da können wir uns bei der Polizei beschweren, wenn die
    irgendwas...“.

Den folgenden, längeren Vortrag Nikolai Iwanowitschs nutzt Glafira, um in

Ruhe ihren Kaffee zu trinken und sich umzuziehen.

-  „Pass auf, Glascha, zieh deine besten Sachen an, Alte, das ist Paris,
    hier sind die berühmtesten Modehäuser, die bekanntesten Stutzer, von
    hier kommt die Mode zu uns, da können wir nicht rumlaufen wie Vogel-
    scheuchen! Oder fändest du das lustig, für irgendeine Köchin gehalten
    zu werden? Den Pass haben sie nicht angeguckt, also können sie nicht
    wissen, das wir Kaufleute sind. Andererseits, glaube ich, sind hier auch

    die Köchinnen nach der letzten Mode gekleidet“.
-  „Aber wir wollen doch gleich zur Ausstellung... ins Theater, das wäre
   natürlich was anderes...“ versucht Glafira zu widersprechen.
-  „Gerade bei der Ausstellung! Gerade da putzen sich doch alle heraus!
    Das ist die Weltausstellung, nicht irgendwas! Nee, nee, das neue Seiden-
    kleid  legst du an, dazu den Brokatmantel und den festlichen Hut, außer-
    dem noch die Brilliantbrosche und das Brilliantarmband“.
-  „Warum denn? Muss das sein?“     
-  „Zieh es an und lass dir gesagt sein, die halten dich sonst für eine Köchin.
    Kaum in einer Modestadt angekommen, will sie in irgendwelchen Fetzen
    herumlaufen... und das wichtigste sind die Brillianten. Du hast doch
    Brillianten für mehr als viertausend mit!“

Innerhalb einer Viertelstunde ist Glafira Semjonowna erneut umgezogen.

-  „Na, siehst du, wie hübsch. Jetzt wird niemand behaupten, du seist eine
    Köchin, ich glaube, ich ziehe auch meinen Brilliantring an. Fertig?“
-  „Fertig. Fahren wir jetzt zur Ausstellung?“
-  „Natürlich, geradewegs. Wie heißt Ausstellung auf Französisch? Was
    sage ich dem Kutscher?“
-  „A l’exposition“.
-  „Alexposition, alexposition.. dann los...“