Nikolai Alexandrowitsch Leikin

Die Unsrigen im Ausland

Eine humoristische Beschreibung der Reise der Eheleute Nikolai Iwanowitsch und Glafira Semjonowna Iwanow nach Paris und zurück

Николай Александрович Лейкин

Наши Заграницей

Юмористические описание поездки супругов

Николая Ивановича и Глафиры Семёновны Ивановых

в Париж и обратно

 

Übersetzung T,Gritsenko/J.Alpers

Eine Reise zur Weltausstellung 1889 nach Paris

Kurze Einführung

„Die Unsrigen im Ausland“ ist ein nicht nur humoristischer, sondern wirklich

komischer Roman mit hinreißenden Dialogen, der die Reise eines jungen

russischen Ehepaares zur Weltausstellung 1889 nach Paris schildert.

Oftmals mit Drehbuchcharakter und in einem enormen Tempo verzichtet er

auf langatmige Beschreibungen, historische Details erfahren wir durch die

Kommentare und Gespräche der beiden Hauptpersonen.

Die Leserinnen und Leser erleben längst vergangene Zeiten im Königreich

der Würste und des Bieres: eine extrem pünktliche preußische Bahn,

rückwärts fliegende Vögel und von Hunden gezogene Fuhrwerke

(davon ist mir  nur eine weitere literarische Beschreibung bekannt,

und zwar in ‘Zettels Traum’).

Wir werden mitgenommen nicht nur in Pariser Passagen und

Warenhäuser, sondern auch in eine nordafrikanische Lehmhütte,

ein russisches Bauernhaus und ein Tipi von Buffalo Bills Wild-West-Show.

Wir durchfahren die Schauplätze französischer Trivialliteratur

im Quartier Latin und versacken mit einer abgetakelten Sängerin

und acht Flaschen Champagner in einer billigen Kaschemme.

Wir lernen, dass es in Paris nach 23 Uhr nichts mehr zu essen gibt,

besteigen den Eiffelturm und den Montblanc, gucken auf den Grund

des Genfer Sees, werden über die Berufskleidung Wiener Prostituierter

aufgeklärtund erfahren endlich, was Commisvoyageure und Commissionäre

eigentlich so treiben, worin der Unterschied zwischen der französischen

und der deutschen Schweiz besteht und was die Slawophilen bei ihrem

Stammtisch in ihrem französischen Restaurant in Petersburg

zu speisen pflegen.

Wäre der Autor kein Russe,  könnte man sagen, er ließe kein noch so
abgenutztes Klischee über die Russen unbenutzt am Wegrand liegen.

Leikin aber, wie der damalige und lang anhaltende Erfolges des

Buches in Russland zeigt, kennt seine Personage gut, schildert sie

frappant treffendund verschweigt auch deren unangenehme Seiten nicht: Panslawismus, Slawophilie und Antisemitismus.

Auf der Reise quer durch Europa gibt der Autor unseren Helden

reichlich Gelegenheit, über wirklich jeden und alles

ein ganzes Sammelsurium an Vorurteilen vor den Lesern

auszubreiten und lässt sie diese in einer stupenden Naivität vortragen,

deren Komik an Absurdität grenzt.

1890 erschienen, ist das Buch zeitnah an den geschilderten Ereignissen,

und wir reisen mit den beiden Hauptpersonen über Berlin nach Paris.
Die Reise durch Deutschland ist kurz, aber, aufgrund der

Verständigungsprobleme, von Hindernissen übersät. Vom historischen

Berlin hören wir nicht viel, wohl aber,was russische Touristen so über

Deutschland denken - und was über Frankreich.

Der größere Teil des Buches spielt in Paris, und da die beiden

Reisenden das Französische in Ansätzen beherrschen, wird klar,

dass hier nicht nur Vorurteile, interkulturelle Inkompetenz

oder Probleme verbalerKommunikation verhandelt werden,

sondern dass wirklich Welten und Sichtweisen aufeinanderstoßen,

die sich, auch bei gutem Willen, oft nicht vereinbaren lassen:
eben die russische und die westeuropäische Kultur.

Der Witz des Autors erschöpft sich dabei nicht im ‘Russian-Bashing’,

sondern entzündet sich an jedem Gegenstand: neben der Karikatur

zeitgenössischer Ideologie finden wir geschliffene Dialoge,

Situationskomik, Verwechselungen,  natürlich auch die Bemühungen

Nikolai Iwanowitschs, seiner russischen Mme. Bovary Herr zu werden,

sowie eine Unmenge an teils skurrilen Nebenfiguren, die,

sogar wenn ihnen kein Sprechtext zugebilligt wurde,

den Lesern sofort lebhaft vor Augen stehen.

Das Nachwort wird versuchen, diese Vielschichtigkeit der

komischen Effekte und das Changieren zwischen Vorurteil

und genauer Beobachtung sowie historischer Momentaufnahme

und Kontinuität ein wenig ausführlicher zu analysieren,

zunächst haben wir für Interessierte Informationen über

den Autor zusammengetragen, dazu Erläuterungen zu

historischen Ereignissen und Schauplätzen des Romanes.

Um den Witz der Originalfassung nach Möglichkeit zu erhalten, ist die

Übersetzung manchmal dreisprachig: die Unterhaltung des Ehepaares

auf Russisch ist ins Deutsche übertragen, aber ihre Vermischung von

deutschen und französischen Bruchstücken mit russischen wurde,

wie die Konversation auf Französisch, im Wesentlichen beibehalten.