Während Glafira heult, steht Nikolai Iwanowitsch auf und bringt schweigend
seinen Anzug in Ordnung, allerdings unter großen Anstrengungen. Nach dem
gestrigen Trunk schwankt er noch immer, sein Kopf ist schwer wie eine
gusseiserne Kasserolle, seine Augen vertragen die Helligkeit nicht und tränen
und die Zunge im Mund fühlt sich an wie gegerbtes Leder. Er wäscht sich
sorgfältig, allein, das hilft auch nicht. Er versucht, eine Papirossi zu rauchen,
aber er muss würgen. Er hustet, drückt die Kippe aus und setzt sich neben
Glafira.
- „Weg!“ schreit sie, mit den Händen nach ihm schlagend, „komm mir nicht
näher. Geh doch zu deinen Schlampen“.
- „Welche Schlampen denn, was du nur erzählst...“
- „Zu denen, von denen du diese Souvenirs mitgebracht hast...“
Glafira Semjonowna begibt sich zu seinem Mantel, der an einem Nagel neben
der Tür hängt, holt aus dessen Innentasche einen Puderschwamm und eine
Visitenkarte mit der Aufschrift ‘Blanche Barbier’ sowie Adresse und verkündet
diese laut, nämlich Italienischer Boulevard Nummer soundso.
Desweiteren fördert sie noch einen Stöpsel eines Kristallflakons zutage
sowie einen zerdrückten Schmetterling aus Tüll und Samt.
- „Gefällt dir, was? Was ist das? Wo hast du das her?“
Nikolai Iwanowitsch reißt überrascht die Augen auf und hebt abwehrend die
Hände: „Absolut keine Ahnung, wo das herkommt...“, aber sofort fällt ihm
etwas ein, was er erfinden könnte und murmelt etwas kleinlaut: „Ach ja, den
Schmetterling hatte ich für dich gekauft, nur ist er in der Tasche zerknittert..
war hübsch...“
- „Dankeschön, dankeschön... und den Flakonstöpsel hast du wahrscheinlich
auch für mich gekauft, und das Kärtchen dieser Blanche mit Adresse ist
ebenfalls für mich gedacht?“
- „Liebling, das ist wahrscheinlich irgendeine Schneiderin, Schneiderin, ja..
jetzt erinnere ich mich, ich war betrunken, offen gesagt, ein wenig betrun-
ken, aber das muss die Adresse dieser günstigen Schneiderin sein, die
mir Madame Bavolet für dich empfohlen hat“.
- ‘Fuu, gerade noch so davongekommen’, denkt sich Nikolai Iwanowitsch,
aber Glafira Semjonowna lächelt nur giftig: „Lüg nicht, du Lump, lüg nicht!“
zieht aus der anderen Manteltasche einen dünnen, schwarzen Handschuh
mit sieben Knöpfen, eindeutig benutzt und sogar schon gestopft, und fragt:
„Diesen alten Handschuh hast du sicher auch für mich gekauft?“
- „Da staune ich nur, das kann ich überhaupt nicht fassen, wie der da hinein-
geraten ist... also höchstens, also dass dieser Franzose, mit dem wir
gestern getrunken haben, den da reingesteckt hat, irrtümlich oder so...“
- „Na wunderbar. Um sich schick zu machen, hat der Franzose sich einen
Damenhandschuh angezogen, der bis über den Ellenbogen reicht. Du
hättest wenigstens etwas Vernünftiges zusammenlügen können - aber
das war doch wohl einfach nur Unsinn. Also, es ist klar, dass du gleich
mit verschiedenen Schlampen rumgebumst hast, und diesen Krims-Kram
hast du als Andenken eingesteckt. Mein Herr Ehemann, ich kenne Sie,
ganz genau kenne ich Sie. Und wenn ich fragen dürfte: wo ist denn Ihr
Geld abgeblieben?“ spricht sie und geht auf ihren Mann zu, der vor ihr
zurückweicht. „Am dritten Tag waren abends in Ihrer Börse 40 Goldmün-
zen, jetzt sind noch zwei übrig. 38 fehlen. Das heißt, dass Sie an einem
Abend 760 Francs auf den Kopf gehauen haben. Sie wollen doch nicht
erzählen, dass Sie in dieser billigen, schmutzigen Kaschemme 38 Gold-
stücke versoffen haben?“
- „Sind wirklich nur noch zwei übrig?“
- „Zwei... bitteschön, und viel Spaß damit...“. Glafira zieht unter ihrem
Kopfkissen sein Portemonnaie hervor und reicht ihm die beiden Münzen.
- „Versteh’ ich nicht, versteh’ ich absolut nicht...“ wieder hebt er abwehrend
die Hände, „muss ich verloren haben....das ist ja eine Strafe... der Cham-
pagner war doch gar nicht so teuer, nur fünf oder sechs Francs pro
Flasche... keine Ahnung wofür das alles... betrunken war ich, das ist
richtig, und das tut mit auch leid...“
- „Aber ich weiß, wofür... diese 700 Francs sind in die Hände oder die Muschi
von Blanche und den anderen Flittchen gewandert!“ ruft Glafira streng und
schnippt ihm die Visitenkarte gegen die Nase, „jawohl, tz tz... und was die-
se Schneiderin betrifft... tja, da hab ich schon alles in Erfahrung gebracht.
Während du es vorzogst, bis 2 Uhr zu schnorcheln, bin ich schon zum
Italienischen Boulevard, und deine Schneiderin ist niemand anders als
diese Blanche Barbier...“
- „Aber Liebling, ich kann mich an nichts, rein gar nichts erinnern - voll
gewesen bin ich wie eine Haubitze. Das Kärtchen kann mir der Franzose
zugesteckt haben, und genausogut hätte er mein Geld klauen können,
weiß der Teufel, was das für ein Franzose war! Dich muss doch gestern
der Teufel geritten haben, in diese Kneipe zu gehen!“
- „Na dankeschön, jetzt bin ich schuld! Du hast mich doch wohl angefleht,
da hineinzugucken!“
- „Das stimmt nicht ganz, ich habe lediglich deinem Plan zugestimmt. Du
wolltest doch im Quartier Latin irgendeine ‘Füllhorn’-Taverne ausfindig
machen“.
- „Aber nicht, um sich darin zu besaufen, sondern um mir den Ort anzu-
gucken, an dem, wie es im Roman beschrieben ist, der Graveur seine
Frau verspielt hat. Ich bin einzig und allein hineingegangen, um ein Ver-
ständnis für die kleinen Tavernen dieses Viertel zu gewinnen, und du
hast dich dem Trunke hingegeben!“
Nikolai Iwanowitsch guckt etwas jämmerlich drein, hebt hilflos die Hände und
spricht leise: „Da hat mich ein Teufelchen verführt, Glascha! Verzeih mir
doch, um Christi Willen, Glascha! So etwas wird sich nicht wiederholen...“
- „Nein, das werde ich dir niemals verzeihen“ spricht, mit einer energischen
Handbewegung, Glafira Semjonowna, „das zahl ich dir in gleicher Münze
zurück...“
- „Wie, was soll das heißen?“ fragt Nikolai Iwanowitsch erschrocken.
- „Du hast dir einen lustigen Abend gemacht, und das werde ich auch tun.
Ich suche mir auch irgendeinen Kavalier. Du hast Blanche gefunden, und
ich werde einen Alphonse finden...“
- „Ach, nun erzähl doch keinen Unsinn, Glascha, hör doch auf...“ Nikolai
Iwanowitsch droht seiner Frau mit dem Zeigefinger.
- „Dann sag jetzt sofort, wo du dich bis um sechs Uhr morgens herum-
getrieben hast!“
- „Weiß ich nicht, absolut keine Ahnung. Wir waren in dieser Kneipe, dann
ist die ganze Gesellschaft zu einer Party irgendwohin gefahren, aber
wohin - keine Ahnung“.
- „Na gut. Das war die erste und letzte deiner Parties in Paris. Pack deine
Sachen, heute abend reisen wir ab“.
- „Aber Glascha, wieso das denn... und die Abteilung für Seile und Reeps
auf der Ausstellung... die habe ich noch nicht gesehen, das ist mein
Spezialgebiet.... und die Bilder haben wir auch noch nicht...“
- „Möchte ich nichts von wissen. Nur weg hier. Hast du überhaupt noch
genug Geld, um im Hotel abzurechnen und die Fahrt zu bezahlen?“
- „Hab ich. Nur entschuldige, abreisen können wir heute nicht, ich habe noch
Geld zu bekommen“.
- „Von wem denn? Was für Geld?“
- „Na, vom Landsmann, den wir im ‘Eden’ kennengelernt haben. Ich hab ver-
gessen, dir zu erzählen, dass er sich von mir 300 Francs geliehen hat, für
einen Tag. Hat versprochen, sie gestern zurückzugeben... naja“.
Nikolai Iwanowitsch erzählte mit gesenkter Stimme, Glafira Semjonowna
hingegen ruft laut: „Was für ein Idiot! Gucken Sie sich diesen Idioten an!
Gibt dem ersten Besten 300 Francs! Na, warum ist er wohl gestern
nicht erschienen? Warum wird er heute nicht erscheinen?“.
- „Das konnte ich nicht machen, Glascha, nichts geben, den ganzen Tag
haben wir miteinander verbracht...“
- „Egal, heute fahren wir. Weg ist weg“.
- „Und deine Sachen, die wir im Louvre Magasin bestellt haben?“
- „Liegen da“, Glafira zeigt auf einen Karton, „während du schliefst, habe ich
sie abgeholt. Nun mach dich fertig, und gib dem Hoteldiener, der dich
heute morgen auf seinen Händen ins Zimmer geschleppt hat, noch Trink-
geld. Den Franzosen, der dich hergefahren hat, habe ich bezahlt: für die
Kutsche und für seinen Hut, den du ihm vom Kopf gerissen und in die
Seine geworfen hast“.
- „Oha, das is ja ein Ding - war ich wirklich so betrunken?“ seufzt Nikolai
Iwanowitsch auf.
- „Nicht mal das Wörtchen ‘Mama’ konntest du noch sagen. Unten hast du
dann noch irgendeinen Spiegel mit einer Flasche zerschlagen, den müs-
sen wir auch noch ersetzen“.
- „Mein lieber Schwan“, erschreckt sich Nikolai Iwanowitsch, verdreht den
Kopf, hat plötzlich eine ganz trockene Kehle und gießt sich kaltes Wasser
aus der Karaffe ein.
- „Was stehst du denn noch wie ein Pfosten und schluckst Wasser, wie
eine Gans!“, schreit ihn Glafira Semjonowna an, „Nun klingel, verlang
die Rechnung und bezahl! Das war kein Scherz, dass wir heute abreisen“.
- „Sofort, mein Engel, sofort...“ entgegnet er zaghaft, „ich bin doch gerade
erst aufgestanden, ich muss erst einen Schluck Tee trinken und mich
sammeln... außerdem, ich glaube, vielleicht möchtest du auch eine
Kleinigkeit frühstücken?“
Nikolai Iwanowitsch ist es außerordentlich unangenehm, seine Frau
anzuschauen, am liebsten würde er sich irgendwo verstecken, aber
leider Gottes haben sie nur ein Zimmer, und die einzige Möglichkeit,
zu entschwinden, wäre das Bett im Alkoven, aber sich jetzt hinzulegen,
hält er nicht für ratsam.
Er steckt sich erst einmal eine Papirossi an und sinkt auf den Diwan,
aber sofort schrillt wieder Glafiras Stimme: „Jetzt setzt er sich auch noch hin!
Da koch dir doch Wasser und brüh dir deinen Tee selbst, wenn du welchen
trinken willst! Aber zügig. Kocher und Teekanne müssen noch in den
Koffer, das sind unsere Sachen, die lassen wir nicht hier“.
- „Aber Täubchen - wie soll ich mir denn Tee machen? Das kann ich doch
gar nicht, das ist doch keine Männersache!“
- „Soso. Männersache ist wohl eher, sich nachts in Spelunken herumzu-
treiben und alle möglichen Schlampen zu umarmen, na gut,
dann packe ich, und den Tee koche ich auch“.
- „Nun lass doch gut sein. Für dein Verständnis und deine Nachsicht, na, da
mache ich dir ein Geschenk... auf der Rückfahrt können wir irgendwo
anhalten und du darfst dir etwas aussuchen...“
Auf Glafiras Lippen erscheint ein leises Lächeln.
- „Bei der Gelegenheit kannst du mir auch erklären, wer eigentlich Lisa
Patrikeewna ist... und noch etwas: wir nehmen nicht den gleichen
Rückweg, das widert mich an, wieder in diese Dirschaus und Königs-
bergs zu fahren, nirgends kommen wir an und zu essen gibts auch
nichts. Dieses deutsche Durcheinander habe ich satt, wir können auch
eine andere Route nehmen. Im Louvre-Magasin habe ich eine russische
Dame getroffen, die hat mir das erklärt und sogar aufgeschrieben. Wir
fahren durch die Schweiz nach Wien und von dort direkt nach Peterburg.
Hier ist der Zettel, wir fahren mit der Lyoner Bahn nach Genf, dann nach
Wien und weiter“.
- „Natürlich, meine Liebe, wie du willst, ganz wie du willst...“ nickt Nikolai
Iwanowitsch und ergreift die Hand seiner Frau, um sie zu küssen, „wenn
du allerdings den Deutschen aus dem Wege gehen willst, muss ich dich
darauf aufmerksam machen, dass die auch in Wien sind...“
- „Egal, Hauptsache, ein anderer Weg. Die russische Dame meinte, dass
die Route unvergleichlich besser und angenehmer sei, weil die Schaffner
aus unseren slawischen Brüdervölkern stammten und sogar Russisch
verstünden. Außerdem, meinte die Dame, sähe man die schweizer und
die tiroler Berge, das habe ich mir schon lange gewünscht, da habe ich so
viel drüber gelesen...“
- „Gut, gut“.
Glafira Semjonowna macht sich daran, den Tee zu brühen und treibt ihren
Mann währenddessen an: „Und ruf den Garcon, dass wir irgendwas zu essen
kriegen, wir müssen uns beeilen. Ich habe mich erkundigt, der Zug geht
um Sieben, und jetzt ist schon nach Drei“.
Trotzdem überkommt Nikolai Iwanowitsch das Gefühl, dass das Schlimmste
jetzt überstanden, dass der Zorn der Gattin Barmherzigkeit gewichen sei, er
lebt ein Weniges auf, seine Miene verliert Düsternis und Verzagtheit und er
klingelt nach dem Korridordiener.
Dieser, in seinem bekannten Aufzuge, erscheint unverzüglich und schaut,
in der Tür stehend, grinsend auf Nikolai Iwanowitsch: „Sa va bien,
Monsieur?“, zwinkert ihm zu und zeigt auf seine zerschundene Hand:
„C’est votre travail d’hier“.
- „Glascha! Was hat er gesagt?“
- „Seine Hand hättest du ihm zerkratzt, als er dich nach oben getragen hat“.
Nikolai Iwanowitsch krümmt sich: „Ach was... guck, selber bin ich auch
gegen irgendetwas gestoßen... nun sag ihm schon, was du möchtest“.
- „Nous voulons manger...“.
- „Ab 18 Uhr haben wir Table d’hôte, Madame, Frühstück gibt es jetzt nicht
mehr“.
Nach einigem Hin und Her ist klar, das unsere Eheleute nichts zu essen
bekommen würden. Nach Karte wurde nicht gekocht, es gab nur zu festge-
setzten Zeiten Frühstück und Mittag.
- „Sowas nennt sich Hotel!“, ereifert sich Glafira, „nichts zu machen, müssen
wir uns von dem trockenem Braten ernähren, wir haben ja noch die Reste
der Gans von vorgestern“.
Sie erbittet vom Diener nur etwas Brot und Käse sowie die Rechnung. Mit
dem Essen auch Teller und Besteck bringend, fragt dieser, als er sieht, wie
Nikolai Iwanowitsch seinen Kopf in Händen hält: „Mal à la tête? C’est
toujours comme ça, quand on prend beaucoup de vin le soir“.
- „Nun schau, wie weit du’s gebracht hat mit deiner Sauferei: jetzt macht
sich schon der Hoteldiener über dich lustig und fragt, ob du vielleicht
Kopfschmerzen hättest“, bemerkt Glafira vorwurfsvoll.
- „Der? Wie kann er das wagen! Raus!“ Nikolai Iwanowitsch quält sich vom
Diwan, schaut den Jungen mit finsteren Augen an und zeigt ihm die Faust,
dass er zügig verschwände.
Sie setzen sich zum Essen, aber Nikolai Iwanowitsch verfügt über keinerlei
Appetit, kaut auf ein wenig Käse herum und konzentriert sich auf den Tee,
sodass sich Glafira allein um das alte Geflügel kümmert.
- „Warum isst du denn nichts?“, fragt sie verwundert.
- „Keine Lust“.
- „Aha. Mach man so weiter mit der Sauferei!“
- „Nun hör auf mit den Vorwürfen, hast ja Recht...“
Die Rechnung wird vom Hauswirt selbst gebracht und vor unserem Helden
auf den Tisch gelegt. Der Alte betrachtet Nikolai Iwanowitsch ebenfalls
neugierig, offensichtlich hatte er sich letzte Nacht über den Grad von
dessen Trunkenheit verwundert. Er kann sich sogar nicht zurückhalten und
erkundigt sich mit einem feinen Lächeln: „Votre santé, Monsieur?“
Nikolai Iwanowitsch versteht durchaus und winkt ärgerlich ab: „Ну, ну, ну...
das tut nichts zur Sache... hau ab, ist dir altem Teufel sowas noch nicht
passiert? Bestimmt schon tausendmal...“
Der Alte tritt von einem Bein aufs andere und schließt die Tür hinter sich,
unser Ehepaar beginnt, die Rechnung zu begutachten.
Alle Posten in einer langen Liste mit winzigen Anmerkungen aufgeführt -
ist die Hotelrechnung gewaltig.
- „Herr im Himmel! Was ist denn da alles zusammengekommen? Wofür
denn bloß? Wir haben hier doch nur geschlafen und so gut wie nichts
gegessen!“ regt sich Nikolai Iwanowitsch auf.
Er nimmt die Rechnung, dreht sie in der Hand hin und her, schaut auf die
einzelnen Zeilen und sagt: „Das ist nicht für mich geschrieben, wirf du
doch mal einen Blick darauf, Glascha...“
Glafira Semjonowna beginnt, die Liste aufmerksam zu betrachten und
stellt als erstes fest: „Diese Krakelei verwundert einen...“
- „Na, das machen sie bestimmt absichtlich, dass man nicht alles
nachrechnen kann... kannst du irgendwas verstehen?“
- „Ja, das Zimmer... das hier, für 12 Francs...“
- „Jaja, war vereinbart, oder...“
- „Moment, abgemacht waren 10 für ein Zimmer mit Doppelbett, und hier
haben sie für das zweite Einzelbett 2 Francs pro Tag berechnet, also nur
für das Bett...“
- „Das ist ganz schön frech, die Schurken... ach, schade, dass ich auf
Französisch nicht schimpfen kann...“
- „Warte, warte... zwei Mal Kerzen. Bougie de service und einfach bougie.
Für erste 2, für die zweite 5... wir haben doch überhaupt nur zwei Kerzen
angezündet!“
- „Geschickt!“ Nikolai Iwanowitsch schnalzt mit der Zunge.
- „Ich kann nur nicht fassen, dass sie uns für den Stummel in dem vergam-
melten Kerzenhalter, den sie uns unten für das unbeleuchtete Treppen-
haus gegeben haben, zwei Francs nehmen. Und hat man sowas schon
gehört - батюшки! Die Bettwäsche sollen wir extra zahlen!“
- „Das ist doch nicht möglich!“
- „Doch, doch - extra. Halsabschneider! Zwei Kaffee für drei Francs... dann
haben wir für jede Tasse anderthalb bezahlt, das sind sechs Groschen in
unserem Geld...“
- „Das ist doch Diebstahl!“ empört sich Nikolai Iwanowitsch.
- „Schlimmer. Eine Art Raubüberfall. So, jetzt haben wir das Teeservice.
Nun stell dir vor, jedesmal, wenn wir unseren Tee getrunken und
unsere Brötchen gegessen haben, haben sie uns zwei Francs in
Rechnung gestellt“.
- „Nicht zu glauben! Was ein Volk! Und gleichzeitig, sowie sie hören, dass
wir Russen sind - gleich „Vive la Russie!“
- „Na sicher, freuen sich, dass sie den Russen gleich das Fell über die
Ohren ziehen werden... na, guck hier, das Stückchen Käse von heute
morgen steht hier für vier Franc...“
- „Was für Halunken...“
- „Sogar Briefmarken, die beiden Briefmarken für 50 Centimes das Stück
sind aufgeführt“, fährt Glafira fort, „mit anderthalb Franc, das ist ja mehr
als das Doppelte. Dann wieder: Service, Service, alle für 2 Francs.
Das soll für den Hoteldiener sein, was?“
- „Für unseren Korridor-Dummkopf mit der Papiermütze, oder?“
- „Ja, wahrscheinlich...Батюшки! Die Streichhölzer... des allumettes ...
extra berechnet!“
- „Und die Papiermütze steht nicht drauf?“
- „Nein“.
- „Und seine Filzpantoffeln?“
- „Nein, nein... aber dafür 2 Francs für etwas, was ich überhaupt nicht ver-
stehe... es sei denn, dafür, dass er dich gestern die Treppe hinaufge-
schleppt hat...“
Nikolai Iwanowitsch wird verlegen: „Na gut, na gut“, winkt er ab, „und mit
deinen Sticheleien reicht es auch...“
- „Ach, gefällt ihm nicht! Will er wohl nicht hören: für den zerschlagenen
Spiegel muss er 50 Francs bezahlen. Hier stehts....“
- „Wann soll ich das denn gemacht haben? Nein, die Rechnung lass ich
so nicht stehen, die bezahle ich im Guten nicht... was da alles aufge-
führt wurde...“ erzürnt sich Nikolai Iwanowitsch.
- „Nun hör auf, mach keinen Skandal!“, widerspricht Glafira, „für ein
beliebiges Gelage ist’s ihm um 100 Francs nicht schade, wie gestern
mit den liederlichen Weibern, und hier: will er wegen irgendwelchen
10 oder 15 Francs einen Skandal vom Zaun brechen. Hast dem Alten
nicht wenig Ärger gemacht, gestern Nacht, das ganze Hotel hast du
geweckt, alle mussten aufstehen und dich die Treppe hochführen!“
Nikolai Iwanowitsch seufzt auf und tastet stumm nach seinem Geldvorrat,
der in der verschlossenen Reisetasche aufbewahrt wird. Glafira schaut ihm
zu und bemerkt: „Du kannst deinem Gott noch dankbar sein, dass du gestern
nicht alles Geld bei dir hattest - deine warmherzigen Freunde und
Freundinnen hätten davon auch nur 2 Goldstücke übrig gelassen.
Ein schamloser Säufer bist du!“
- „Ach, Glascha, nun reite nicht darauf herum“.
Zwei Stunden später verläßt unser Ehepaar reisefertig das Zimmer, um mit
einer Kutsche zum Bahnhof zu fahren. Ihr junger Hoteldiener schleppt ihre
sämtlichen Kissen, Koffer und die Reisetasche das Treppenhaus hinunter,
in dem in jeder Etage verschiedene männliche und weibliche Diener aufgereiht
stehen, vom Ehepaar während ihres Aufenthaltes nicht einmal zu Gesicht
bekommen, sich verbeugend und die Hand aufhaltend, ihr Trinkgeld zu
empfangen.
Schweigend drückt Glafira allen ein halbes Franc-Stück in die Hand. Der
Patron unten erhebt sich liebenswürdig aus seinem Sesel: „Bon voyage,
Monsieur et Madame, bon voyage...“
- „Alter Halsabschneider, von mir aus kannst du verrecken...“ antwortet ihm
Nikolai Iwanowitsch auf Russisch.
- „Merci, Monsieur, merci...“ bedankt sich der Wirt für den russischen Gruß
und drückt ihm, mit der Bitte um Weiterempfehlung seines Hotels, einen
ganzen Stapel Visitenkarten in die Hand.