- „Für das Sitzen auf Gartenstühlen nehmen sie! Das fehlt noch!“ kann sich
Nikolai Iwanowitsch nicht beruhigen, nachdem er fürs Ausruhen bezahlen
musste, „gut, wenn’s eine Vorstellung gegeben hätte - aber nichts davon.
Die Leute sitzen einfach, ruhen sich aus und unterhalten sich“.
- „Sie gucken sich den Eiffelturm an - das ist die Vorstellung“, bemerkt
Glafira.
- „Dafür wird doch Eintritt kassiert“.
- „Eintritt fürs Gucken im Stehen, hier fürs Gucken im Sitzen. Wenn du auf
den Turm krabbelst, nehmen sie auch. Für jede Etage nehmen sie extra.
Stand in den Zeitungen“.
- „Was für eine Einrichtung, das ist doch eine Schweinerei! Da können sie ja
auch Eintritt nehmen, wenn man mal in die Kioske hineinschaut - und was
guckt man sich hier eigentlich nicht an? Die ganze Ausstellung“.
- „Nehmen sie, für die Kioske auch... vorhin war ich auf Toilette, meinst du,
die war umsonst? Kostet 25 Centimes“.
- „Das ist doch nicht dein Ernst?“
- „Aber sicher doch, sogar nach Tarif, hat mir die Toilettenfrau gezeigt, den
Tarif...“
- „Pfui Teufel! Dann können wir ja auch im Restaurant Eintritt bezahlen -
für den Eintritt extra, und fürs Essen. Apropos, mir ist schon schlecht vor
Hunger“.
- „Dort gibts eins“, zeigt Glafira auf eine Hinweistafel, auf dem ein Pfeil in
Richtung „Restaurant Duval“ angebracht ist.
Die Eheleute folgen ihm und stehen bald vor dem Gebäude, vor dessen
Eingang sich allerdings eine Menschenmenge angefunden hat und Schlange
steht.
- „Батюшки! Wie viele Leute! Ist das wirklich ein Restaurant?“ zweifelt
Nikolai Iwanowitsch.
- „Steht jedenfalls dran“.
- „Na, eben ein Markt hier. Wenn Markt, ist auch Gedränge. In einer Warte-
schlange zum Essen gehen - das zeig mal unseren Wirten in Piter, die
werden grün vor Neid. Nun komm zum Eingang, anstehen. Das möchte ich
mir anschauen, was das für ein Laden ist, müsste eigentlich berühmt sein“.
- „Aber bitte keine gebratenen Frösche, Nikolai Iwanowitsch!“
- „Hab ich doch schon geschworen, was willst du noch?“
Schritt für Schritt kommen die Eheleute dem Eingang näher und betreten
schließlich den großen, überfüllten Saal des Restaurants Duval. Es werden
immer nur soviele Menschen hineingelassen, wie auch hinausgehen. An der
Tür sitzt ein bärtiger Franzose und überreicht ihnen zwei Kärtchen.
- „Aha, kassieren sie auch im Restaurant Eintritt, was? Sind das Billette?“
ruft empört Nikolai Iwanowitsch, „na, Glascha, hab ichs nicht gesagt?“
- „Nimm schon, nimm schon...in ein fremdes Kloster geh nicht mit deinen
Gesetzen...“.
- „Combien?“ fragt Nikolai Iwanowitsch und greift schon in die Tasche, aber
der Franzose meint nur: „Vous payerez après, Monsieur, après, prenez
seulement deux cartes“.
- „Hinterher bezahlen, nimm, was er dir gibt“, übersetzt Glafira.
- „Was eine Stadt! Was eine Ordnung! Eintritt im Restaurant! Bei uns im
Restaurant Arkadia spielen sie winters Musik, verschiedene Sänger treten
auf, aber Eintritt nehmen sie nicht“.
Im Saal scheinen alle Tische besetzt und man ist gezwungen, nach freien
Stühlen Ausschau zu halten. Unsere Eheleute hätten bestimmt lange gesucht,
wären sie nicht von einem Kellner angesprochen worden. Er trägt ein
kurzes Jäckchen, eine Schürze fast bis zum Boden und der frische, weiße
Kragen liegt steif um das glattrasierte Kinn. Hinterm Ohr steckt ein Bleistift,
er winkt ihnen: „Vous cherchez une place, Monsieur,... voilà la table...
allez avec moi...“ und zieht Nikolai Iwanowitsch mit sich zu einem kleinen
Tischchen an einer Marmorsäule und zeigt auf die Stühle. Nikolai Iwano-
witsch schwankt noch, ob er sich setzen soll: „Für die Stühle hier nehmen
sie nichts? Frag doch, Glascha!“
- „Setz dich schon hin, die Stühle gehören nicht zum Menü“.
Nikolai Iwanowitsch ist nicht restlos überzeugt, schlägt mit der Hand
auf einen Stuhl und wendet sich an den Kellner: „Und was kosten
diese Sachen?“
Dieser kann mit der Frage selbstverständlich nichts anfangen, nimmt
stattdessen die beiden Kärtchen entgegen, notiert etwas darauf, legt
sie auf den Tisch, überreicht ihnen die Karte und wartet respektvoll
auf die Bestellung.
- „Glascha! Jetzt müssen wir nach dem Essen fragen“ sagt Nikolai Iwano-
witsch, und, zum Kellner gewandt: „Dîner... de dîner...“
- „Nous n’avons pas de dîners, Monsieur. Seulement à la carte... il faut
choisir... prenez la carte...“
- „Abendessen gibts hier nicht. Wir müssen von der Karte bestellen“, über-
setzt Glafira.
- „Wie bitte, in so einem Restaurant, in dem man Eintritt nimmt, gibts kein
Abendessen? Das ist ja ein starkes Stück!“
- „Ist vielleicht auch besser so“, unterbricht ihn seine Frau, „Gott weiß, was
sie einem sonst vorsetzten... vielleicht sogar Frösche... friss nur, und
hinterher...“.
- „Was ein Unsinn! Frösche kannst du doch sofort erkennen“.
- „Wenn’s Gehacktes gibt, wie willst du das unterscheiden? Los, wir nehmen
was ganz Gewöhnliches“.
- „Nu, bien... also, vor allem Wodka und Закуски. Eau de vie... Eau de vie
russe и Закуска. Wie heißt Закуска auf Französisch?“
- „Закуска?...äh, ich weiß nicht... haben wir nicht gehabt...“
- „Nous n’avons pas d’eau de vie russe, Monsieur...“ bemerkt der Kellner,
„si vous voulez cognac...“
- „Wodka gibts nicht“, erklärt Glafira, „woher sollten sie den auch haben!
Er schlägt Cognac vor“.
- „Wie Cognac? Wer trinkt denn Cognac vor dem Essen - der kommt hinter-
her! Blödmänner - Eintritt nehmen können sie, aber aus Russland Wodka
beziehen nicht. Wir entscheiden uns für ihren Wein, Cognac non...“
schüttelt Nikolai Iwanowitsch den Kopf, „Glascha! Nun übersetz ihm, was
ich zum Thema Wodka gesagt habe...“
- „Ach, Nikolai Iwanitsch, das lohnt doch nicht, was soll man sich hier
darüber auslassen...lass uns schnell was aus der Karte wählen“.
Sie zieht die Karte zu sich und beginnt mit derem Studium, bis der Kellner,
sich langweilend, schließlich fragt: „Dites-donc, Monsieur, seulement, quel
vin désirez-vous: ordinaire, vin de pays?“
- „Was fragt er?“ guckt Nikolai Iwanowitsch seine Frau an.
- „Wegen des Weines. Was für einen Wein“.
- „Ach so...vin rouge...bouteille vin rouge...siehst du Glascha, wie ich auf
Französisch...“.
- „Quel vin rouge, Monsieur? Un Franc, deux Francs, trois Francs...“
- „Понял, понял...nee, Bruder, drei Francs sind zu wenig, das sind... drei
Четвертак... da kriegen wir Essig... давай за Рубль, für vier Четвертак...
quatre Francs... Да и vin blanc une bouteille, тоже в quatre Francs...“
Der Kellner läuft.
- „Ich habe gewählt, Nikolai Iwanowitsch“, sagt Glafira, „bouillon, saumon,
das ist Lachs, und Beefsteaks. Da kannst du sehen, was serviert wird“.
- „Постой! Постой! Зй, l’homme...“ schreit Nikolai Iwanowitsch hinter dem
Kellner her.
- „Ne l’homme, a garçon, den человек ruft man hier garçon“.
- „Ах, да...я и забыл! Garçon!“
Aber der ist schon weg.
- „Tja, da bin ich aber gespannt, was der Eintritt hier kostet“, bemerkt Niko-
lai Iwanowitsch, das Additionskärtchen betrachtend, das sie am Eingang
erhalten haben und das er für ein Billet hält.
- „Guck, der Kellner hat schon was draufgeschrieben, zwei Striche hat er
gemacht - bei der Ziffer 10 und bei 15“.
- „Die werden doch wohl nicht einen ganzen Rubel nehmen?“
- „Nein, die rechnen hier mit Francs, wahrscheinlich zwei Francs, nur was
die Ziffern bedeuten, kann ich mir nicht vorstellen“.
- „Steht auch nichts dabei?“
- „Nein, nichts“.
- „Merkwürdige Einrichtung“. Nikolai Iwanowitsch schüttelt den Kopf: „Das
ist teuer, für zwei sind das 4 Francs, für jeden französischen Четвертак
bezahlen wir 4 Groschen, das sind insgesamt 1 Rubel 6 Groschen, dann
noch Trinkgeld... eieiei, schon fast zwei Rubel weg, und noch nichts ge-
gessen und getrunken, und das dann jeden Tag drei Mal, für Frühstück,
Mitag, Abendbrot... da wirst du ja arm bei...“
- „Da sind wir wahrscheinlich in einem teueren Restaurant gelandet...“
- „Was zum Teufel teuer, wenn’s nicht mal Tischdecken gibt!“
- „Stimmt, sieht gewöhnlich aus, so die blanken Marmortische...“
Der Kellner erscheint wieder, stellt zwei Gläser und zwei Flaschen auf
den Tisch und schickt sich an, wieder wegzulaufen.
- „Garçon, garçon!“ hält ihn Nikolai Iwanowitsch zurück, wendet sich dann
aber an seine Frau: „Merkwürdig, dass du keine Vorspeisen auf Franzö-
sisch bestellen kannst. Etwas Salziges vor dem Essen wäre wunderbar..
Weißt du nicht, wie Hering heißt?“
- „Über den Hering haben wir auch nichts gelernt“.
- „Wie siehts denn mit Sprotten oder Räucherfisch aus?“
- „Ebenfalls nichts. Aber Käse: fromage“.
- „Fromage, fromage, garçon“, verlangt Nikolai Iwanowitsch.
- „Quel fromage, Monsieur?“
- „Natürlich schweizer. Glascha! Wie heißt die Schweiz?“
- „Ach du lieber Himmel! Gehts nicht ohne Закуски? Швейцарский...
wahrscheinlich fromage schweyzar?“
- „Je ne connais pas, Madame, un fromage pareil...“ verneinend schüttelt
der Kellner sein Haupt.
- „Fromage schweyzar gibts nicht? Merkwürdig...nun, dann irgendeinen...
einfach fromage...fromage....halt, halt...und der Hering, Glascha?
Kannst du ihm nicht verständlich machen, was das ist?“
- „Poisson salé...vous comprenez? Un petit poisson salé...“.
- „Une sardine? Ah, oui, Madame!“
- „Да не сардинку...Sardinen kannst du natürlich auch...Hering!“ Nikolai
Iwanowitsch sieht, dass er sich umsonst bemüht. „Ach, geh zum Teufel.
Versteht einfach nichts. Nu, oui, Cардинку.. oui, и encore...“.
- „Encore poisson salé, en autre poisson salé...“.
- „Oui, Madame, vous recevez“, verspricht der Kellner und verschwindet, um
nach ein paar Minuten mit zwei Suppentassen und tiefen Tellern wieder zu
erscheinen: „Voilà votre bouillon, Madame. Servez-vous, je vous prie“.
- „Bruder, was soll denn die Suppe vor den Vorspeisen?“ erregt sich Nikolai
Iwanowitsch, „zuerst die Закуски, сардин, fromage, селёдку...“
- „C’est après, Monsieur, après le bouillon...“
- „Как après! Jetzt, sofort... wer isst denn Salziges nach der Suppe...
Glascha! Nun sag ihm doch...“
- „A présent, à prèsent...“.
Der Kellner zuckt mit den Schultern, läuft aber nach dem Verlangten.
- „Tolles Restaurant, nehmen Eintritt und halten sich Kellner, die nicht mal
die Reihenfolge der Speisen kennen...“ grummelt Nikolai Iwanowitsch.
Aber sehr bald erscheint der Kellner wieder mit mehreren Tellerchen, auf
denen zwei Sardinen, ein Brie und längliche Muscheln liegen. Glafira Semjo-
nowna, die Muscheln erblickend, runzelt die Stirn und mit den Worten „Pfui,
wie ekelhaft“ deckt sie sie mit einer Serviette ab.
- „Was ist das denn? Irgendwelche Schnecken? Weg, weg damit, die
nehmen sie zurück...“ und Nikolai Iwanowitsch wedelt mit den Händen,
„ich hab um Hering gebeten, und er schleppt so eine Art Schnecken an...
fort damit... wir essen nicht mal Austern, und er kommt mit Schnecken...
allez garçon, les russes такой еды non manger... с Богом, с Богом...
und räum’ den Käse auch gleich mit ab, den esse ich sowieso nicht“.
- „Von mir aus kann er die Sardinen auch mitnehmen - wenn die neben den
verfluchten Schnecken gelegen haben, will ich die nicht mehr essen...“
setzt Glafira hinzu, „il ne faut pas. Rien il ne faut pas. Seulement le
bouillon, donnez bouillon. Und was dich betrifft, Nikolai Iwanitsch, hör auf
zu bestellen. Iss lieber ohne Vorspeisen!“ gibt sie ihrem Ehemann auf den
Weg, sich weiterhin von den geöffneten Muscheln abwendend.
Der Kellner guckt ungläubig: „Mais Madame, c’est ce que vous avez
demandé...“.
- „Prenez. Prenez прочь. Nous ne mangeons pas ce choses...“.
- „Oh, comme il est difficile...“ seufzt er und nimmt alles zurück.
Unser Ehepaar beschäftigt sich stattdessen mit der Bouillon.
- „Wasser ist das, keine Bouillon“, empört sich Glafira und schiebt den
Teller, nachdem sie einige Löffel geschluckt hat, von sich. „Und das
ist das gepriesene Paris! Die gepriesene französische Küche!“
- „Und das in einem Restaurant, in dem sie dir beim Eintritt schon einen
Rubel sechs Groschen abnehmen“, kann sich Nikolai Iwanowitsch nicht
enthalten und sagt zum Kellner: „Nu, poisson... скорей poisson, aber
nicht sowas wie eben...“.
- „Saumon, Saumon...“ wiederholt Glafira.
Es wird gekochter Lachs in Sauce, aber ohne Beilagen serviert, und die
Portionen sind so klein, dass die Eheleute aufstöhnen.
- „И зто deux portions? Deux... для двоих? Pour deux?“ fragt Nikolai
Iwanowitsch ungläubig.
- „Oui, Monsieur“.
- „Das kann man ja mit einmal in den Mund schieben. Und die Beilagen?
Die Kartoffeln?“
- „Oui, oui...où est pommes de terre?“ murmelt auch Glafira.
- „Mais vous avez désiré seulement le saumon, Madame“.
- „Aber die Kartoffeln verstehen sich doch von selbst...“
- „Je vous apporterai tout de suite, Madame“ sagt der Kellner und
will sich umdrehen.
- „Dann kannst du auch alles bringen.. pass mal auf... schon verschwunden
deine Portion...“ Nikolai Iwanowitsch legt seinen Lachs auf den Löffel und
lässt ihn im Mund verschwinden. „Encore poisson. Четыре порций этой
poisson... quatre portions...“ sagt er noch kauend.
- „И pommes de terre...“ verlangt Glafira.
- „Quelles pommes désirez-vous, Madame?“
- „Quelles pommes! Обыкновенный pommes, вареный pommes...“
Der Kellner lächelt und bringt nach fünf Minuten vier Portionen Lachs
und einen ganzen Berg Pommes frites.
- „Was ein Idiot. Frittierte Kartoffeln zu gekochtem Fisch“ erregt sich Nikolai
Iwanowitsch.
- „Nun ess schon. Hauptsache satt“ empfiehlt seine Frau, „es ist bloß
erstaunlich, wie unvernünftig die Leute hier in Paris sind“.
Die Portion Beefsteaks war noch kleiner, aber unser Ehepaar widersprach
schon nicht mehr. „Ist doch einfach zum Lachen“, murmelt Nikolai Iwano-
witsch kauend vor sich hin, sein ganzes Beefstak im Mund, und spült mit
einem Schluck Wein nach.
- „Hunger hab ich, Nikolai Iwanowitsch“, beschwert sich Glafira.
- „Ich auch, war ja nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir haben doch
seit morgens nichts gegessen, und jetzt ist schon nach sechs. Müssen
wir eben in ein, zwei Stunden nochmal dinieren, komm, trinken wir den
Wein aus und suchen ein anderes Restaurant. Einen Truthahn bestellen
wir uns, nicht, oder eine Gans... garçon! Combien?“ und Nikolai Iwano-
witsch zieht sein Geld aus der Tasche, aber der Kellner reicht ihnen das
Additionskärtchen, das sie am Eingang bekommen hatten und verweist
sie zur Kasse.
- „Sechzehn französische Четвертак haben sie für alles genommen“ er-
klärt Nikolai Iwanowitsch, als sie das Restaurant Duval verlassen, „ganz
merkwürdig billig. Acht hat ja schon der Wein gekostet, und dann haben
wir zehn Portionen gegessen, allein sechs Mal Lachs... gut, die waren
klein, aber immerhin...ach so, und es hat sich herausgestellt, dass sie für
den Eintritt nichts berechnet haben, die Billette waren für die Addition.
Nee, guck selber, also teuer war’s nicht, wenn du alles nimmst...“
- „Schmeiß doch weg, die Quittung, ist egal, wir gehen hier sowieso nicht
mehr hin...“ winkt Glafira ab, „also bitte, wir bestellen Fisch, klar und
deutlich, wie mir scheint - und sie servieren Schnecken... wir sollten es
uns nur merken, dass wir nicht noch irrtümlich ein zweites Mal
hineingeraten...“ und bemerkt ein Hinweisschild mit der Aufschrift:
„Arabisches und ägyptisches Theater“.
Sie hält ihren Mann am Ärmel fest: „Guck da,lass uns hingehen und
Karten kaufen, das ist bestimmt interessant“.
- „Ach, wir können doch beide weder arabisch noch ägyptisch“.
- „Das braucht man da nicht. Wir gucken einfach. Letzten Sommer haben
wir im Arkadia in Petersburg doch auch eine französische Vorstellung
gesehen, und hier eben arabisch und ägyptisch“.
- „Na gut, schauen wir mal rein“.
- „Natürlich tun wir das, nehmen billige Plätze, und wenn es nicht gefällt,
wieder raus. Ist vielleicht sogar besser, wenn wir nicht so lange bleiben -
ich bin furchtbar müde und möchte eigentlich nur ins Bett, Abendessen
können wir ja auch im Hotel bestellen, da ist bestimmt ein Restaurant“.
Unsere Eheleute folgen dem Schild, biegen um die Ecke und bleiben
vor Überraschung stehen: vor ihren Augen entfaltet sich das
beeindruckende Bild der beleuchteten, buntschimmernden großen Fontäne.
In allen Farben leuchten und funkeln die Säule und alle Wasserstrahlen
und streuen brilliantene Tropfen. Auch der Eiffelturm ist mit matt-weißen
Lampions auf jeder Etage erleuchtet, und von seiner Spitze strahlt ein
Drummondsches Licht in einem breiten Band in den Nachthimmel.
- „Ach, ist das schön...“ sagt Nikolai Iwanowitsch unwillkürlich.
- „Ja, wirklich wunderbar...“ findet auch Glafira, „und wie die Elektrizität
vom Turm leuchtet...“
- „Das ist nicht elektrisch, gibt es etwa so ein elektrisches Licht? Bei uns
am Newski-Prospekt, das ist elektrische Beleuchtung, aber hier, ich weiß
nicht... das ist Magnetismus, wahrscheinlich organischer Magnetismus...“
- „Ganz bestimmt - organischer Magnetismus ist ja wohl etwas völlig
Anderes, der streut. Habe ich gelesen. Der geht vom Menschen aus...
aus dem Bauch... und es gibt nur bestimmte Menschen, die ihn aus-
senden, die nennt man Medium“.
- „Aber nicht doch, du erzählst mir Unsinn, ein Medium gibts
nur bei den Spiritisten“.
- „Selber erzählst du Unsinn“, widerspricht Glafira, „die Spiritisten haben
Geister... da werden die Verstorbenen gerufen, also nicht die tatsäch-
lichen, aber ihre Schatten - und die klopfen dann auf den Tisch“.
- „Das ist doch der Hypnotismus, das macht man beim Hypnotisieren...“
- „Ich weiß nicht, Nikolai Iwanitsch, warum du immer streiten musst -
Hypnose - das ist, wenn ein Mensch steif wird und man ihn mit einer
Nadel verletzen kann - aber das hier ist elektrisch. Es gibt einfach
verschiedene Arten von Elektrizität. Das Telefon ist auch elektrisch“.
Nikolai Iwanowitsch gibt auf: „Gut, du hast Recht, ist elektrisch, mir doch
egal. Lass uns lieber ins Theater gehen“.
Sie begeben sich in Richtung des großen, gasbeleuchteten Reklame-
schildes.
- „Nun urteile doch selbst: wer sollte denn in der Lage sein, mit seinem
Bauch derartige magnetische Strahlen auszusenden, dass der halbe
Himmel erleuchtet ist?“ gibt Glafira nicht nach.
- „Ist ja gut, Glafira Semjonowna, ist ja gut, ich hab das Thema bereits satt“.
- „Was heißt hier satt - ich habe mein Wissen aus Büchern, alles selbst
gelesen!“
- „Nun prahle bitte nicht mit deiner Bildung, ein bisschen was habe ich ja
auch gelesen“.
- „Ach, wann denn? Du stehst doch den ganzen Tag hinterm Ladentisch,
während ich zuhause vor meinen Büchern sitze“.
- „Naja, die kennen wir, die Bücher, handeln von Gaston und Berta und
Jerome und ihren Liebesabenteuern...“
- „Gar nicht wahr, ich lese auch Sachbücher und Lehrbücher...“
- „Na, da schweig man lieber von... Wunderbare Bildung, hast du gerade
bewiesen, deine Bildung - hab dich im Restaurant gebeten, nach Hering
zu fragen, aber dazu warst du nicht in der Lage...“
- „Weil wir das nicht gelernt haben... die Pension war für Mädchen, was
sollen die über Heringe wissen? Heringe - sind Männersache, die gehören
zu den Закуски, und die werden zum Wodka serviert: trinken Mädchen
vielleicht Wodka?“
- „Irgendwann heiraten die Mädchen ja auch, dann müssen sie den Haushalt
führen und ihrem Ehemann und seinen Gästen Hering zum Wodka ser-
vieren - warum sollten sie dann nichts über den Hering lernen?“
In diesem Moment wird ihre Diskussion von einem lauten Händeklatschen
direkt über ihren Ohren und der mächtigen, heiseren Stimme eines
Ausrufers unterbrochen: „Nous commençons! Dans un quart d’heure nous
commençons! Voyons, Messieurs et Mesdames... Faites attention...Voici
la caisse...Prenez les billets... Dêpêchez-vous, dêpêchez-vous ...
Seulement un Franc...“
Vor Schreck springt unser Ehepaar zur Seite und beguckt sich den
Menschen, der in ihre Ohren geschrien hat: angetan mit einer
goldbestickten roten Jacke, blauer Pluderhose und weißem Turban
versucht er, das Publikum zu kobern.
- „Fu, hol dich der Teufel, verfluchter Schrat“ schimpft Nikolai Iwanowitsch
und droht ihm sogar mit der Faust, aber der lässt sich nicht beirren und
krakeelt weiter: „Quelque chose de remarquable, Monsieur, quelque chose,
que vous ne verrez pas partout... La danse de ventre, Monsieur... Venez,
Madame, venez, nous commençons...“
Das Ehepaar steht genau vor dem Fensterchen des Kassenhäuschens, aus
dem eine ältere Frau in roter Haube in ihre Richtung guckt und Glafira Sem-
jonowna sogar zwei Billets hinhält. Nikolai Iwanowitsch kauft sie für 2 Francs
und führt seine Frau zur Tür.
Das ägyptische und arabische Theater, das sie betreten, ähnelt mehr einer
Jahrmarktsbude, für die Zeit der Weltausstellung aufgebaut und mit rotem
Segeltuch als Dach und einem grünen Vorhang aus grobem Stoff.
Vor der Barriere stehen Stühle wahllos verteilt, um sie herum niedrige
Tischchen, auf denen die Zuschauer ihre Getränke abstellen können.
Das nicht sehr zahlreiche Publikum sitzt, raucht, trinkt Wein, Bier oder
Kaffee mit Cognac, überall unterhalten sich Engländer, die mit Strohhalmen
Sherry goutieren, zusammen mit Sandwiches.
Die Vorstellung hat noch nicht begonnen, und durch die Reihen flitzt
ein Junge und verkauft das Programmheft des Spektakels,
ununterbrochen dessen Höhepunkte austrompetend. Kellner schwirren
umher, die jedem eintretenden Gast nahelegen, erst einmal etwas zu trinken,
wobei einer merkwürdigerweise rote, hinten offene Schuhe trägt und dazu
einen Chalat aus dem gleichen Wollstoff, wie er bei uns an den Türen von
Tataren verkauft wird. Vervollständigt wird die Aufmachung durch das um
den Kopf gewickelte Handtuch mit roten Fransen, das wohl einen Turban
simulieren soll.
- „Батюшки! Das ist doch kein Theater hier - die rauchen und trinken ja im
Saal!“ entfährt es Glafira Semjonowna.
- „Theater schon, bloß eben mit Getränken, ich finde, das hat nichts zu
sagen... eigentlich gar nicht schlecht, wir könnten doch jetzt auch...“ hebt
Nikolai Iwanowitsch an, erblickt dann aber den Kellner im Chalat: „Glascha!
Guck dir das an! Da hat sich einer verkleidet - in unserem russischen
Chalat und mit Saunatuch um den Kopf: Klasse! Kommst gerade aus der
Banja? Und wo ist die Birkenrute?“
- „Plaît-il, Monsieur?“ fragt der Kellner im Chalat, der verstanden hat, dass
von ihm die Rede war und wedelt mit der Serviette.
- „In welcher Banja hast du denn geschwitzt: in der Woroniner oder bei
Zelibeew?“
Der Kellner, in der Annahme, man frage nach seinem Kostüm, antwortet
auf Französisch: „Das habe ich von meinem Neffen, der in Ägypten lebt“,
wird aber selbstredend nicht verstanden.
Nikolai Iwanowitsch kichert weiter und fragt wieder auf Russisch: “Na, und
wie war der Dampf heute? Hübsch mit der Rute vergnügt? Wie bist
du überhaupt darauf gekommen, hier den Hofnarren zu spielen?“
- „Was sprichst du denn Russisch mit ihm - das versteht er nicht!“
unterbricht ihn Glafira.
- „Dann übersetz doch! Was Banja auf Französich heißt, müsstest du doch
wissen. Und Ruten auch“.
- „Hallo! Er hat dich gefragt, was du trinken möchtest!“
- „Café, Cognac, bok? Qu’est-ce que vous dêsirez, Monsieur?“ wiederholt
der Kellner seine Frage.
- „Glace? Avez-vous glace? Aportez glace - comprenez vous?“ antwortet
Glafira.
- „Oh, oui, Madame, vous recevez tout de suite. Et vous, Monsieur?“
- „Café noir и cognac“.
Der Kellner entfernt sich schlurfend, unser Ehepaar sitzt und wartet,
als sich der Vorhang mit einem Male bewegt und zwei Schauspieler
die Bühne betreten. Die Schnurrbartträger, ganz in weiß gekleidet,
artikulieren in einem kehligen Dialekt und schwingen Säbel.
Schwingen und verschwinden wieder.
Dafür erscheinen barfüßige Musikanten in Umhängen, einer mit Trommel,
zwei mit Rohrflöten, stellen sich am Bühnenrand auf und heben, begleitet
von gemessenen Schlägen auf Fell und Holz, eine langsame,
schwermütige Melodie an.
- „Das ist irgendwas aus einer Traueroper“, bemerkt Nikolai Iwanowitsch.
- „Тоска..“, antwortet Glafira und gähnt sogar, „da haben wir uns ja was
ausgesucht...“.
- „Du hast doch das Theater entdeckt...“
- „Nein, du...“
Sie fangen an zu streiten, bis Nikolai Iwanowitsch sich sein Glas
mit Cognac vollfüllt und bemerkt: „Na, warten wir ab, vielleicht wird
es hiernach ja noch lustiger“.
Der Kellner lächelt, als er sieht, dass ein gutes Drittel der Karaffe schon
verschwunden ist, die Vorstellung läuft hingegen unverändert weiter,
unaufhörlich erklingt die eintönige, niederdrückende und ermüdende
Melodie, bis eine weibliche Stimme hinter den Kulissen den Musikern
schließlich etwas zuruft und vier Mädchen auf die Bühne springen,
in bunten Röcken, ohne Korsage und mit sehr offenherzigen
Oberteilen. Barfuß hüpfen sie untergehakt umher und singen.
- „Was soll denn an diesem Theater arabisch sein!“ ruft Nikolai Iwanowitsch
aus, „das sind doch alles Weiße, Tänzerinnen, Schauspieler, Musiker,
das ist doch Betrug! Da könnten sie sich doch wenigstens die Fressen
schwarz anmalen, dass sie wie Araber aussehen, aber sowas...!“
- „Genau... und am Eingang hieß es, dass sie etwas ganz Besonderes
zeigen würden“, bestätigt ihn Glafira, „vielleicht noch eine Frau mit nackter
Taille... das kann auch nur Männern gefallen“.
- „Na, mir nicht, ich glaube, wenn die anfangen, sich auszuziehen...“
- „Sei still, du Schweinigel!“ bestimmt Glafira streng.
Auf der Bühne wird weiter gesungen und musiziert, die Mädchen sitzen
jetzt hinten im Schneidersitz, neben sich die Musiker, und auch die
schnurrbärtigen Säbelträger haben sich eingefunden, die mitsingen
und im Takt in die Hände klatschen, als eine alte, dicke Schwarze
hereinschwebt, mit dicken Lippen, barfuß und nacktem Bauch,
geradezu aus den Kulissen hereinschwebt, sich geradehaltend
wie ein Stock, am Bühnenrand stehen bleibt und Bauch und Hüften
im Takt vor- und zurückbewegt, während Kopf, Hals und Arme absolut
ruhig bleiben, in vollkommener Bewegungslosigkeit.
- „Pfui, wie unziemlich, was macht sie da bloß mit ihrem Bauch?“
fassungslos wendet sich Glafira Semjonowna ab.
- „Na, zum Teufel mit dem Bauch, aber ist doch gut, dass sie
immerhin eine richtige, schwarze Araberin ist, oder?“
- „Danse de ventre...illustre danse de ventre“, verkündet der
hinter ihnen stehende Kellner im Chalat.
Nach der Schwarzen betritt eine weiße Frau die Bühne und setzt
den Tanz fort. Um zu beweisen, dass sich nur Bauch und Hüften
bewegen, stellt sie sich eine Flasche mit einer angezündeten Kerze
auf den Kopf, zwei weitere hält sie in Händen und tanzt nicht nur
im Stehen, sondern setzt sich auch auf die Erde und legt sich halb
hin, ohne dass die Kerzen ausgehen.
- „C’est le chef-d’œvre“, so der Kellner.
Glafira spuckt aus. „Unanständig ist das. Eine Schweinerei ist das. Komm,
nach Hause, los!“.
- „Aber nicht doch, mein Herzchen, können wir das nicht bis zum Ende...“
beginnt Nikolai Iwanowitsch.
- „Das reicht. Los, steh auf!“.
- „Lass mich doch den Cognac austrinken und bezahlen...“.
Er füllt in sein leeres Glas den gesamten Rest der Cognac-Karaffe und trinkt
es auf einen Zug aus. Der Kellner hinter ihm muss sich schütteln und ruft
unwillkürlich „Aber Monsieur....“. Zum ersten Male muss er mitansehen,
wie ein Gast allein eine ganze Karaffe leert, obwohl sie nicht allzu groß ist.
Mit den Worten „Combien? Получи за всё“ reicht Nikolai Iwanowitsch dem
Kellner ein 5-Francs-Stück und begibt sich mit Glafira am Arm zum Ausgang,
welche ununterbrochen ausspuckt und schimpft: „Und so etwas nennt
sich Theater... widerwärtig, ekelhaft, obszön...pfui...“.