Kapitel 30 - 33: Restaurant Duval und Ägyptisches Theater

Kapitel 30

Nous voulons Закуски

-   „Für das Sitzen auf Gartenstühlen nehmen sie! Das fehlt noch!“ kann sich
    Nikolai Iwanowitsch nicht beruhigen, nachdem er fürs Ausruhen bezahlen
    musste, „gut, wenn’s eine Vorstellung gegeben hätte - aber nichts davon.
    Die Leute sitzen einfach, ruhen sich aus und unterhalten sich“.
-  „Sie gucken sich den Eiffelturm an - das ist die Vorstellung“, bemerkt
    Glafira.
-  „Dafür wird doch Eintritt kassiert“.
-  „Eintritt fürs Gucken im Stehen, hier fürs Gucken im Sitzen. Wenn du auf
    den Turm krabbelst, nehmen sie auch. Für jede Etage nehmen sie extra.
    Stand in den Zeitungen“.
-  „Was für eine Einrichtung, das ist doch eine Schweinerei! Da können sie ja
    auch Eintritt nehmen, wenn man mal in die Kioske hineinschaut - und was
    guckt man sich hier eigentlich nicht an? Die ganze Ausstellung“.
-  „Nehmen sie, für die Kioske auch... vorhin war ich auf Toilette, meinst du,
    die war umsonst? Kostet 25 Centimes“.
-  „Das ist doch nicht dein Ernst?“
-  „Aber sicher doch, sogar nach Tarif, hat mir die Toilettenfrau gezeigt, den
    Tarif...“
-  „Pfui Teufel! Dann können wir ja auch im Restaurant Eintritt bezahlen -
    für den Eintritt extra, und fürs Essen. Apropos, mir ist schon schlecht vor
    Hunger“.
-  „Dort gibts eins“, zeigt Glafira auf eine Hinweistafel, auf dem ein Pfeil in
    Richtung „Restaurant Duval“ angebracht ist.

Die Eheleute folgen ihm und stehen bald vor dem Gebäude, vor dessen
Eingang sich allerdings eine Menschenmenge angefunden hat und Schlange
steht.
-  „Батюшки! Wie viele Leute! Ist das wirklich ein Restaurant?“ zweifelt
    Nikolai Iwanowitsch.
-  „Steht jedenfalls dran“.
-  „Na, eben ein Markt hier. Wenn Markt, ist auch Gedränge. In einer Warte-
    schlange zum Essen gehen - das zeig mal unseren Wirten in Piter, die
    werden grün vor Neid. Nun komm zum Eingang, anstehen. Das möchte ich
    mir anschauen, was das für ein Laden ist, müsste eigentlich berühmt sein“.
-  „Aber bitte keine gebratenen Frösche, Nikolai Iwanowitsch!“
-  „Hab ich doch schon geschworen, was willst du noch?“

Schritt für Schritt kommen die Eheleute dem Eingang näher und betreten
schließlich den großen, überfüllten Saal des Restaurants Duval. Es werden
immer nur soviele Menschen hineingelassen, wie auch hinausgehen. An der
Tür sitzt ein bärtiger Franzose und überreicht ihnen zwei Kärtchen.
-  „Aha, kassieren sie auch im Restaurant Eintritt, was? Sind das Billette?“
   ruft empört Nikolai Iwanowitsch, „na, Glascha, hab ichs nicht gesagt?“
-  „Nimm schon, nimm schon...in ein fremdes Kloster geh nicht mit deinen
    Gesetzen...“.
-  „Combien?“ fragt Nikolai Iwanowitsch und greift schon in die Tasche, aber
    der Franzose meint nur: „Vous payerez après, Monsieur, après, prenez
    seulement deux cartes“.
-  „Hinterher bezahlen, nimm, was er dir gibt“, übersetzt Glafira.
-  „Was eine Stadt! Was eine Ordnung! Eintritt im Restaurant! Bei uns im
    Restaurant Arkadia spielen sie winters Musik, verschiedene Sänger treten
    auf, aber Eintritt nehmen sie nicht“.

Im Saal scheinen alle Tische besetzt und man ist gezwungen, nach freien
Stühlen Ausschau zu halten. Unsere Eheleute hätten bestimmt lange gesucht,

wären sie nicht von einem Kellner angesprochen worden. Er trägt ein
kurzes Jäckchen, eine Schürze fast bis zum Boden und der frische, weiße

Kragen liegt steif um das glattrasierte Kinn. Hinterm Ohr steckt ein Bleistift,
er winkt ihnen: „Vous cherchez une place, Monsieur,... voilà la table...
allez avec moi...“ und zieht Nikolai Iwanowitsch mit sich zu einem kleinen
Tischchen an einer Marmorsäule und zeigt auf die Stühle. Nikolai Iwano-
witsch schwankt noch, ob er sich setzen soll: „Für die Stühle hier nehmen

   sie nichts? Frag doch, Glascha!“
-  „Setz dich schon hin, die Stühle gehören nicht zum Menü“.

Nikolai Iwanowitsch ist nicht restlos überzeugt, schlägt mit der Hand

auf einen Stuhl und wendet sich an den Kellner: „Und was kosten

   diese Sachen?“
Dieser kann mit der Frage selbstverständlich nichts anfangen, nimmt

stattdessen die beiden Kärtchen entgegen, notiert etwas darauf, legt

sie auf den Tisch, überreicht ihnen die Karte und wartet respektvoll

auf die Bestellung.

-  „Glascha! Jetzt müssen wir nach dem Essen fragen“ sagt Nikolai Iwano-
    witsch, und, zum Kellner gewandt: „Dîner... de dîner...“
-  „Nous n’avons pas de dîners, Monsieur. Seulement à la carte... il faut
    choisir... prenez la carte...“
-  „Abendessen gibts hier nicht. Wir müssen von der Karte bestellen“, über-
    setzt Glafira.
-  „Wie bitte, in so einem Restaurant, in dem man Eintritt nimmt, gibts kein
    Abendessen? Das ist ja ein starkes Stück!“
-  „Ist vielleicht auch besser so“, unterbricht ihn seine Frau, „Gott weiß, was
    sie einem sonst vorsetzten... vielleicht sogar Frösche... friss nur, und
    hinterher...“.
-  „Was ein Unsinn! Frösche kannst du doch sofort erkennen“.
-  „Wenn’s Gehacktes gibt, wie willst du das unterscheiden? Los, wir nehmen
    was ganz Gewöhnliches“.
-  „Nu, bien... also, vor allem Wodka und Закуски. Eau de vie... Eau de vie   
    russe и Закуска. Wie heißt Закуска auf Französisch?“
-  „Закуска?...äh, ich weiß nicht... haben wir nicht gehabt...“
-  „Nous n’avons pas d’eau de vie russe, Monsieur...“ bemerkt der Kellner,
    „si vous voulez cognac...“
-  „Wodka gibts nicht“, erklärt Glafira, „woher sollten sie den auch haben!
    Er schlägt Cognac vor“.
-  „Wie Cognac? Wer trinkt denn Cognac vor dem Essen - der kommt hinter-
    her! Blödmänner - Eintritt nehmen können sie, aber aus Russland Wodka
    beziehen nicht. Wir entscheiden uns für ihren Wein, Cognac non...“
    schüttelt Nikolai Iwanowitsch den Kopf, „Glascha! Nun übersetz ihm, was
    ich zum Thema Wodka gesagt habe...“
-  „Ach, Nikolai Iwanitsch, das lohnt doch nicht, was soll man sich hier
    darüber auslassen...lass uns schnell was aus der Karte wählen“.

Sie zieht die Karte zu sich und beginnt mit derem Studium, bis der Kellner,
sich langweilend, schließlich fragt: „Dites-donc, Monsieur, seulement, quel
    vin désirez-vous: ordinaire, vin de pays?“
-  „Was fragt er?“ guckt Nikolai Iwanowitsch seine Frau an.
-  „Wegen des Weines. Was für einen Wein“.
-  „Ach so...vin rouge...bouteille vin rouge...siehst du Glascha, wie ich auf
    Französisch...“.
-  „Quel vin rouge, Monsieur? Un Franc, deux Francs, trois Francs...“
-  „Понял, понял...nee, Bruder, drei Francs sind zu wenig, das sind... drei
    Четвертак... da kriegen wir Essig... давай за Рубль, für vier Четвертак...
    quatre Francs... Да и vin blanc une bouteille, тоже в quatre Francs...“

Der Kellner läuft.
-  „Ich habe gewählt, Nikolai Iwanowitsch“, sagt Glafira, „bouillon, saumon,
   das ist Lachs, und Beefsteaks. Da kannst du sehen, was serviert wird“.
-  „Постой! Постой! Зй, l’homme...“ schreit Nikolai Iwanowitsch hinter dem
    Kellner her.
-  „Ne l’homme, a garçon, den человек ruft man hier garçon“.
-  „Ах, да...я и забыл! Garçon!“

Aber der ist schon weg.

Kapitel 31

Das Salzige nach der Suppe

-  „Tja, da bin ich aber gespannt, was der Eintritt hier kostet“, bemerkt Niko-
   lai Iwanowitsch, das Additionskärtchen betrachtend, das sie am Eingang
   erhalten haben und das er für ein Billet hält.
-  „Guck, der Kellner hat schon was draufgeschrieben, zwei Striche hat er
   gemacht - bei der Ziffer 10 und bei 15“.
-  „Die werden doch wohl nicht einen ganzen Rubel nehmen?“
-  „Nein, die rechnen hier mit Francs, wahrscheinlich zwei Francs, nur was

   die Ziffern bedeuten, kann ich mir nicht vorstellen“.
-  „Steht auch nichts dabei?“
-  „Nein, nichts“.
-  „Merkwürdige Einrichtung“. Nikolai Iwanowitsch schüttelt den Kopf: „Das
    ist teuer, für zwei sind das 4 Francs, für jeden französischen Четвертак
    bezahlen wir 4 Groschen, das sind insgesamt 1 Rubel 6 Groschen, dann
    noch Trinkgeld... eieiei, schon fast zwei Rubel weg, und noch nichts ge-
   gessen und getrunken, und das dann jeden Tag drei Mal, für Frühstück,
    Mitag, Abendbrot... da wirst du ja arm bei...“
-  „Da sind wir wahrscheinlich in einem teueren Restaurant gelandet...“
-  „Was zum Teufel teuer, wenn’s nicht mal Tischdecken gibt!“
-  „Stimmt, sieht gewöhnlich aus, so die blanken Marmortische...“

Der Kellner erscheint wieder, stellt zwei Gläser und zwei Flaschen auf

den Tisch und schickt sich an, wieder wegzulaufen.
-  „Garçon, garçon!“ hält ihn Nikolai Iwanowitsch zurück, wendet sich dann
   aber an seine Frau: „Merkwürdig, dass du keine Vorspeisen auf Franzö-
   sisch bestellen kannst. Etwas Salziges vor dem Essen wäre wunderbar..
   Weißt du nicht, wie Hering heißt?“
-  „Über den Hering haben wir auch nichts gelernt“.
-  „Wie siehts denn mit Sprotten oder Räucherfisch aus?“
-  „Ebenfalls nichts. Aber Käse: fromage“.
-  „Fromage, fromage, garçon“, verlangt Nikolai Iwanowitsch.
-  „Quel fromage, Monsieur?“
-  „Natürlich schweizer. Glascha! Wie heißt die Schweiz?“
-  „Ach du lieber Himmel! Gehts nicht ohne Закуски? Швейцарский...
    wahrscheinlich fromage schweyzar?“
-  „Je ne connais pas, Madame, un fromage pareil...“ verneinend schüttelt
    der Kellner sein Haupt.
-  „Fromage schweyzar gibts nicht? Merkwürdig...nun, dann irgendeinen...
    einfach fromage...fromage....halt, halt...und der Hering, Glascha?

    Kannst du ihm nicht verständlich machen, was das ist?“
-  „Poisson salé...vous comprenez? Un petit poisson salé...“.
-  „Une sardine? Ah, oui, Madame!“
-  „Да не сардинку...Sardinen kannst du natürlich auch...Hering!“ Nikolai
   Iwanowitsch sieht, dass er sich umsonst bemüht. „Ach, geh zum Teufel.
   Versteht einfach nichts. Nu, oui, Cардинку.. oui, и encore...“.
-  „Encore poisson salé, en autre poisson salé...“.
-  „Oui, Madame, vous recevez“, verspricht der Kellner und verschwindet, um
   nach ein paar Minuten mit zwei Suppentassen und tiefen Tellern wieder zu
   erscheinen: „Voilà votre bouillon, Madame. Servez-vous, je vous prie“.
-  „Bruder, was soll denn die Suppe vor den Vorspeisen?“ erregt sich Nikolai
   Iwanowitsch, „zuerst die Закуски, сардин, fromage, селёдку...“
-  „C’est après, Monsieur, après le bouillon...“
-  „Как après! Jetzt, sofort... wer isst denn Salziges nach der Suppe...

   Glascha! Nun sag ihm doch...“
-  „A présent, à prèsent...“.

Der Kellner zuckt mit den Schultern, läuft aber nach dem Verlangten.

-  „Tolles Restaurant, nehmen Eintritt und halten sich Kellner, die nicht mal
    die Reihenfolge der Speisen kennen...“ grummelt Nikolai Iwanowitsch.
    
Aber sehr bald erscheint der Kellner wieder mit mehreren Tellerchen, auf
denen zwei Sardinen, ein Brie und längliche Muscheln liegen. Glafira Semjo-
nowna, die Muscheln erblickend, runzelt die Stirn und mit den Worten „Pfui,
wie ekelhaft“ deckt sie sie mit einer Serviette ab.
-  „Was ist das denn? Irgendwelche Schnecken? Weg, weg damit, die
   nehmen sie zurück...“ und Nikolai Iwanowitsch wedelt mit den Händen,
  „ich hab um Hering gebeten, und er schleppt so eine Art Schnecken an...
   fort damit...  wir essen nicht mal Austern, und er kommt mit Schnecken...
   allez garçon,  les russes такой еды non manger... с Богом, с Богом...
   und räum’ den Käse auch gleich mit ab, den esse ich sowieso nicht“.
-  „Von mir aus kann er die Sardinen auch mitnehmen - wenn die neben den
    verfluchten Schnecken gelegen haben, will ich die nicht mehr essen...“
    setzt Glafira hinzu, „il ne faut pas. Rien il ne faut pas. Seulement le
    bouillon, donnez  bouillon. Und was dich betrifft, Nikolai Iwanitsch, hör auf
    zu bestellen. Iss lieber ohne Vorspeisen!“ gibt sie ihrem Ehemann auf den
    Weg, sich weiterhin von den geöffneten Muscheln abwendend.

Der Kellner guckt ungläubig: „Mais Madame, c’est ce que vous avez

   demandé...“.
-  „Prenez. Prenez прочь. Nous ne mangeons pas ce choses...“.
-  „Oh, comme il est difficile...“ seufzt er und nimmt alles zurück.

Unser Ehepaar beschäftigt sich stattdessen mit der Bouillon.
-  „Wasser ist das, keine Bouillon“, empört sich Glafira und schiebt den

   Teller, nachdem sie einige Löffel geschluckt hat, von sich. „Und das

   ist das gepriesene Paris! Die gepriesene französische Küche!“
-  „Und das in einem Restaurant, in dem sie dir beim Eintritt schon einen
    Rubel sechs Groschen abnehmen“, kann sich Nikolai Iwanowitsch nicht
    enthalten und  sagt zum Kellner: „Nu, poisson... скорей poisson, aber
    nicht sowas wie eben...“.
-  „Saumon, Saumon...“ wiederholt Glafira.

Es wird gekochter Lachs in Sauce, aber ohne Beilagen serviert, und die
Portionen sind so klein, dass die Eheleute aufstöhnen.
-  „И зто deux portions? Deux... для двоих? Pour deux?“ fragt Nikolai
   Iwanowitsch ungläubig.
-  „Oui, Monsieur“.
-  „Das kann man ja mit einmal in den Mund schieben. Und die Beilagen?
    Die Kartoffeln?“
-  „Oui, oui...où est pommes de terre?“ murmelt auch Glafira.
-  „Mais vous avez désiré seulement le saumon, Madame“.
-  „Aber die Kartoffeln verstehen sich doch von selbst...“
-  „Je vous apporterai tout de suite, Madame“ sagt der Kellner und

   will sich umdrehen.
-  „Dann kannst du auch alles bringen.. pass mal auf... schon verschwunden
    deine Portion...“ Nikolai Iwanowitsch legt seinen Lachs auf den Löffel und
    lässt ihn im Mund verschwinden. „Encore poisson. Четыре порций этой
    poisson... quatre portions...“ sagt er noch kauend.
-  „И pommes de terre...“ verlangt Glafira.
-  „Quelles pommes désirez-vous, Madame?“
-  „Quelles pommes! Обыкновенный pommes, вареный pommes...“

Der Kellner lächelt und bringt nach fünf Minuten vier Portionen Lachs

und einen ganzen Berg Pommes frites.
-  „Was ein Idiot. Frittierte Kartoffeln zu gekochtem Fisch“ erregt sich Nikolai
    Iwanowitsch.
-  „Nun ess schon. Hauptsache satt“ empfiehlt seine Frau, „es ist bloß

    erstaunlich, wie unvernünftig die Leute hier in Paris sind“.

Die Portion Beefsteaks war noch kleiner, aber unser Ehepaar widersprach
schon nicht mehr. „Ist doch einfach zum Lachen“, murmelt Nikolai Iwano-
witsch kauend vor sich hin, sein ganzes Beefstak im Mund, und spült mit
einem Schluck Wein nach.
-  „Hunger hab ich, Nikolai Iwanowitsch“, beschwert sich Glafira.
-  „Ich auch, war ja nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir haben doch
    seit morgens nichts gegessen, und jetzt ist schon nach sechs. Müssen
    wir eben in ein, zwei Stunden nochmal dinieren, komm, trinken wir den
    Wein aus und suchen ein anderes Restaurant. Einen Truthahn bestellen
    wir uns, nicht, oder eine Gans... garçon! Combien?“ und Nikolai Iwano-
    witsch zieht sein Geld aus der Tasche, aber der Kellner reicht ihnen das
    Additionskärtchen, das sie am Eingang bekommen hatten und verweist
   sie zur Kasse.

Kapitel 32

Strom oder Spiritismus?

-  „Sechzehn französische Четвертак haben sie für alles genommen“ er-
   klärt Nikolai Iwanowitsch, als sie das Restaurant Duval verlassen, „ganz
   merkwürdig billig. Acht hat ja schon der Wein gekostet, und dann haben
   wir zehn Portionen gegessen, allein sechs Mal Lachs... gut, die waren
   klein, aber immerhin...ach so, und es hat sich herausgestellt, dass sie für
   den Eintritt nichts berechnet haben, die Billette waren für die Addition.

   Nee, guck selber, also teuer war’s nicht, wenn du alles nimmst...“
-  „Schmeiß doch weg, die Quittung, ist egal, wir gehen hier sowieso nicht
    mehr hin...“ winkt Glafira ab, „also bitte, wir bestellen Fisch, klar und
    deutlich, wie mir scheint - und sie servieren Schnecken... wir sollten es

    uns nur merken, dass wir  nicht noch irrtümlich ein zweites Mal

    hineingeraten...“ und bemerkt ein Hinweisschild mit der  Aufschrift:

    „Arabisches  und ägyptisches Theater“.

   Sie hält ihren Mann am Ärmel fest: „Guck da,lass uns  hingehen und
   Karten kaufen, das ist bestimmt interessant“.
-  „Ach, wir können doch beide weder arabisch noch ägyptisch“.
-  „Das braucht man da nicht. Wir gucken einfach. Letzten Sommer haben

   wir im Arkadia in Petersburg doch auch eine französische Vorstellung

   gesehen, und hier eben arabisch und ägyptisch“.  
-   „Na  gut, schauen wir mal rein“.
-  „Natürlich tun wir das, nehmen billige Plätze, und wenn es nicht gefällt,
    wieder raus. Ist vielleicht sogar besser, wenn wir nicht so lange bleiben -
    ich bin furchtbar müde und möchte eigentlich nur ins Bett, Abendessen
    können wir ja auch im Hotel bestellen, da ist bestimmt ein Restaurant“.

Unsere Eheleute folgen dem Schild, biegen um die Ecke und bleiben

vor Überraschung stehen: vor ihren Augen entfaltet sich das

beeindruckende Bild der beleuchteten, buntschimmernden großen Fontäne.
In allen Farben leuchten und funkeln die Säule und alle Wasserstrahlen
und streuen brilliantene Tropfen. Auch der Eiffelturm ist mit matt-weißen
Lampions auf jeder Etage erleuchtet, und von seiner Spitze strahlt ein
Drummondsches Licht in einem breiten Band in den Nachthimmel.

-  „Ach, ist das schön...“ sagt Nikolai Iwanowitsch unwillkürlich.
-  „Ja, wirklich wunderbar...“ findet auch Glafira, „und wie die Elektrizität

    vom Turm leuchtet...“
-  „Das ist nicht elektrisch, gibt es etwa so ein elektrisches Licht? Bei uns

    am Newski-Prospekt, das ist elektrische Beleuchtung, aber hier, ich weiß
    nicht... das ist Magnetismus, wahrscheinlich organischer Magnetismus...“
-  „Ganz bestimmt - organischer Magnetismus ist ja wohl etwas völlig
    Anderes, der streut. Habe ich gelesen. Der geht vom Menschen aus...
    aus dem Bauch... und es gibt nur bestimmte Menschen, die ihn aus-
    senden, die nennt man Medium“.
-  „Aber nicht doch, du erzählst mir Unsinn, ein Medium gibts
    nur bei den Spiritisten“.
-  „Selber erzählst du Unsinn“, widerspricht Glafira, „die Spiritisten haben
    Geister... da werden die Verstorbenen gerufen, also nicht die tatsäch-
    lichen, aber ihre Schatten - und die klopfen dann auf den Tisch“.
-  „Das ist doch der Hypnotismus, das macht man beim Hypnotisieren...“
-  „Ich weiß nicht, Nikolai Iwanitsch, warum du immer streiten musst -
    Hypnose - das ist, wenn ein Mensch steif wird und man ihn mit einer
    Nadel verletzen kann - aber das hier ist elektrisch. Es gibt einfach
    verschiedene Arten von Elektrizität. Das Telefon ist auch elektrisch“.

Nikolai Iwanowitsch gibt auf: „Gut, du hast Recht, ist elektrisch, mir doch
    egal. Lass uns lieber ins Theater gehen“.
 Sie begeben sich in Richtung des großen, gasbeleuchteten Reklame-
 schildes.
-  „Nun urteile doch selbst: wer sollte denn in der Lage sein, mit seinem
    Bauch derartige magnetische Strahlen auszusenden, dass der halbe
    Himmel erleuchtet ist?“ gibt Glafira nicht nach.
-  „Ist ja gut, Glafira Semjonowna, ist ja gut, ich hab das Thema bereits satt“.
-  „Was heißt hier satt - ich habe mein Wissen aus Büchern, alles selbst
    gelesen!“
-  „Nun prahle bitte nicht mit deiner Bildung, ein bisschen was habe ich ja
    auch gelesen“.
-  „Ach, wann denn? Du stehst doch den ganzen Tag hinterm Ladentisch,
    während ich zuhause vor meinen Büchern sitze“.
-  „Naja, die kennen wir, die Bücher, handeln von Gaston und Berta und
    Jerome und ihren Liebesabenteuern...“
-  „Gar nicht wahr, ich lese auch Sachbücher und Lehrbücher...“
-  „Na, da schweig man lieber von... Wunderbare Bildung, hast du gerade
    bewiesen, deine Bildung - hab dich im Restaurant gebeten, nach Hering
    zu fragen, aber dazu warst du nicht in der Lage...“
-   „Weil wir das nicht gelernt haben... die Pension war für Mädchen, was
    sollen die über Heringe wissen? Heringe - sind Männersache, die gehören
    zu den Закуски, und die werden zum Wodka serviert: trinken Mädchen
    vielleicht Wodka?“
-  „Irgendwann heiraten die Mädchen ja auch, dann müssen sie den Haushalt
    führen und ihrem Ehemann und seinen Gästen Hering zum Wodka ser-
    vieren - warum sollten sie dann nichts über den Hering lernen?“

In diesem Moment wird ihre Diskussion von einem lauten Händeklatschen
direkt über ihren Ohren und der mächtigen, heiseren Stimme eines
Ausrufers unterbrochen: „Nous commençons! Dans un quart d’heure nous
   commençons! Voyons, Messieurs et Mesdames... Faites attention...Voici
   la caisse...Prenez les billets... Dêpêchez-vous, dêpêchez-vous ...
   Seulement un Franc...“

Vor Schreck springt unser Ehepaar zur Seite und beguckt sich den

Menschen, der in ihre Ohren geschrien hat: angetan mit einer

goldbestickten roten Jacke, blauer Pluderhose und weißem Turban

versucht er, das Publikum zu kobern.

- „Fu, hol dich der Teufel, verfluchter Schrat“ schimpft Nikolai Iwanowitsch
   und droht ihm sogar mit der Faust, aber der lässt sich nicht beirren und
   krakeelt weiter: „Quelque chose de remarquable, Monsieur, quelque chose,
   que vous ne verrez pas partout... La danse de ventre, Monsieur... Venez,
   Madame, venez, nous commençons...“

Das Ehepaar steht genau vor dem Fensterchen des Kassenhäuschens, aus
dem eine ältere Frau in roter Haube in ihre Richtung guckt und Glafira Sem-
jonowna sogar zwei Billets hinhält. Nikolai Iwanowitsch kauft sie für 2 Francs
und führt seine Frau zur Tür.

 

Kapitel 33

Bauchtanz

Das ägyptische und arabische Theater, das sie betreten, ähnelt mehr einer
Jahrmarktsbude, für die Zeit der Weltausstellung aufgebaut und mit rotem
Segeltuch als Dach und einem grünen Vorhang aus grobem Stoff.

 

Vor der Barriere stehen Stühle wahllos verteilt, um sie herum niedrige

Tischchen, auf denen die Zuschauer ihre Getränke abstellen können.

Das nicht sehr zahlreiche Publikum sitzt, raucht, trinkt Wein, Bier oder

Kaffee mit Cognac, überall unterhalten sich Engländer, die mit Strohhalmen

Sherry goutieren, zusammen mit Sandwiches.

 

Die Vorstellung hat noch nicht begonnen, und durch die Reihen flitzt

ein Junge und verkauft das Programmheft des Spektakels,
ununterbrochen dessen Höhepunkte austrompetend. Kellner schwirren

umher, die jedem eintretenden Gast nahelegen, erst einmal etwas zu trinken,
wobei einer merkwürdigerweise rote, hinten offene Schuhe trägt und dazu
einen Chalat aus dem gleichen Wollstoff, wie er bei uns an den Türen von
Tataren verkauft wird. Vervollständigt wird die Aufmachung durch das um

den Kopf gewickelte Handtuch mit roten Fransen, das wohl einen Turban
simulieren soll.

-  „Батюшки! Das ist doch kein Theater hier - die rauchen und trinken ja im
   Saal!“ entfährt es Glafira Semjonowna.
-  „Theater schon, bloß eben mit Getränken, ich finde, das hat nichts zu
    sagen... eigentlich gar nicht schlecht, wir könnten doch jetzt auch...“ hebt
    Nikolai Iwanowitsch an, erblickt dann aber den Kellner im Chalat: „Glascha!
    Guck dir das an! Da hat sich einer verkleidet - in unserem russischen
    Chalat und mit Saunatuch um den Kopf: Klasse! Kommst gerade aus der
    Banja? Und wo ist die Birkenrute?“
-  „Plaît-il, Monsieur?“ fragt der Kellner im Chalat, der verstanden hat, dass
    von ihm die Rede war und wedelt mit der Serviette.
-  „In welcher Banja hast du denn geschwitzt: in der Woroniner oder bei
    Zelibeew?“
 Der Kellner, in der Annahme, man frage nach seinem Kostüm, antwortet
auf Französisch: „Das habe ich von meinem Neffen, der in Ägypten lebt“,
wird aber selbstredend nicht verstanden.
Nikolai Iwanowitsch kichert weiter und fragt wieder auf Russisch: “Na, und
   wie war der Dampf heute? Hübsch mit der Rute vergnügt? Wie bist
   du überhaupt darauf gekommen, hier den Hofnarren zu spielen?“
-  „Was sprichst du denn Russisch mit ihm - das versteht er nicht!“

   unterbricht ihn Glafira.
-  „Dann übersetz doch! Was Banja auf Französich heißt, müsstest du doch
    wissen. Und Ruten auch“.
-  „Hallo! Er hat dich gefragt, was du trinken möchtest!“
-  „Café, Cognac, bok? Qu’est-ce que vous dêsirez, Monsieur?“ wiederholt
    der Kellner seine Frage.
-  „Glace? Avez-vous glace? Aportez glace - comprenez vous?“ antwortet
    Glafira.
-  „Oh, oui, Madame, vous recevez tout de suite. Et vous, Monsieur?“
-  „Café noir и cognac“.

Der Kellner entfernt sich schlurfend, unser Ehepaar sitzt und wartet,

als sich der Vorhang mit einem Male bewegt und zwei Schauspieler

die Bühne betreten. Die Schnurrbartträger, ganz in weiß  gekleidet,

artikulieren in einem kehligen Dialekt und schwingen Säbel.

Schwingen und verschwinden wieder.

Dafür erscheinen barfüßige Musikanten in Umhängen, einer mit Trommel,

zwei mit Rohrflöten, stellen sich am Bühnenrand auf und heben, begleitet

von gemessenen Schlägen auf Fell und Holz, eine langsame,

schwermütige Melodie an.

- „Das ist irgendwas aus einer Traueroper“, bemerkt Nikolai Iwanowitsch.
- „Тоска..“, antwortet Glafira und gähnt sogar, „da haben wir uns ja was
    ausgesucht...“.
-  „Du hast doch das Theater entdeckt...“
-  „Nein, du...“

Sie fangen an zu streiten, bis Nikolai Iwanowitsch sich sein Glas

mit Cognac vollfüllt und bemerkt: „Na, warten wir ab, vielleicht wird

es hiernach ja noch lustiger“.

Der Kellner lächelt, als er sieht, dass ein gutes Drittel der Karaffe schon
verschwunden ist, die Vorstellung läuft hingegen unverändert weiter,
unaufhörlich erklingt die eintönige, niederdrückende und ermüdende

Melodie, bis eine weibliche Stimme hinter den Kulissen den Musikern

schließlich etwas zuruft und vier Mädchen auf die Bühne springen,

in bunten Röcken, ohne Korsage und mit sehr offenherzigen

Oberteilen. Barfuß hüpfen sie untergehakt umher und singen.

-  „Was soll denn an diesem Theater arabisch sein!“ ruft Nikolai Iwanowitsch
   aus, „das sind doch alles Weiße, Tänzerinnen, Schauspieler, Musiker,
   das ist doch Betrug!  Da könnten sie sich doch wenigstens die Fressen
   schwarz anmalen,  dass sie wie Araber aussehen, aber sowas...!“
-  „Genau... und am Eingang hieß es, dass sie etwas ganz Besonderes
    zeigen würden“, bestätigt ihn Glafira, „vielleicht noch eine Frau mit nackter
    Taille... das kann auch nur Männern gefallen“.
-   „Na, mir nicht, ich glaube, wenn die anfangen, sich auszuziehen...“
-  „Sei still, du Schweinigel!“ bestimmt Glafira streng.
Auf der Bühne wird weiter gesungen und musiziert, die Mädchen sitzen

jetzt hinten im Schneidersitz, neben sich die Musiker, und auch die

schnurrbärtigen Säbelträger haben sich eingefunden, die mitsingen

und im Takt in die Hände klatschen, als eine alte, dicke Schwarze

hereinschwebt, mit dicken Lippen, barfuß und nacktem Bauch,

geradezu aus den Kulissen hereinschwebt, sich geradehaltend

wie ein Stock, am Bühnenrand stehen bleibt und Bauch und Hüften

im Takt vor- und zurückbewegt, während Kopf, Hals und Arme absolut

ruhig bleiben, in vollkommener Bewegungslosigkeit.

-  „Pfui, wie unziemlich, was macht sie da bloß mit ihrem Bauch?“

   fassungslos wendet sich Glafira Semjonowna ab.
-  „Na, zum Teufel mit dem Bauch, aber ist  doch gut, dass sie

    immerhin eine richtige, schwarze Araberin ist, oder?“
-  „Danse de ventre...illustre danse de ventre“, verkündet der

    hinter ihnen  stehende Kellner im Chalat.

Nach der Schwarzen betritt eine weiße Frau die Bühne und setzt

den Tanz fort. Um zu beweisen, dass sich nur Bauch und Hüften

bewegen, stellt sie sich eine Flasche mit einer angezündeten Kerze

auf den Kopf, zwei weitere hält sie in Händen und tanzt nicht nur

im Stehen, sondern setzt sich auch auf die Erde und legt sich halb

hin, ohne dass die Kerzen ausgehen.
-  „C’est le chef-d’œvre“, so der Kellner.

Glafira spuckt aus. „Unanständig ist das. Eine Schweinerei ist das. Komm,
   nach Hause, los!“.
-  „Aber nicht doch, mein Herzchen, können wir das nicht bis zum Ende...“
   beginnt Nikolai Iwanowitsch.
-  „Das reicht. Los, steh auf!“.
-  „Lass mich doch den Cognac austrinken und bezahlen...“.

Er füllt in sein leeres Glas den gesamten Rest der Cognac-Karaffe und trinkt
es auf einen Zug aus. Der Kellner hinter ihm muss sich schütteln und ruft

unwillkürlich „Aber Monsieur....“. Zum ersten Male muss er mitansehen,

wie ein Gast allein eine ganze Karaffe leert, obwohl sie nicht allzu groß ist.

Mit den Worten „Combien? Получи за всё“ reicht Nikolai Iwanowitsch dem
Kellner ein 5-Francs-Stück und begibt sich mit Glafira am Arm zum Ausgang,
welche ununterbrochen ausspuckt und schimpft: „Und so etwas nennt

   sich Theater... widerwärtig, ekelhaft, obszön...pfui...“.