- „Also nee, die sind nicht für uns gemacht, für uns Russen, diese deutschen
Verhältnisse“, konstatiert Nikolai Iwanowitsch, seiner Frau zugewandt,
„da kannst du ein ganzes Jahr hier leben und wirst dich nicht eingewöh-
nen. Hast du gemerkt, wie der Zug abgefahren ist? Keine einzige
Glocke. Hast es gerade geschafft, in den Waggon zu klettern, der
Kondukteur pfeift und schon bist du im Schweinsgalopp unterwegs. Wenn
Franz nicht dagewesen wäre, hätten wir’s nie in diesen Zug geschafft,
ich wäre schon in den ersten eingestiegen. Der fuhr nach Wien. Das
begreif ich einfach nicht: 7:51 Wien, 7:53 Köln, auf dem gleichen Gleis.
Was für eine Hetze ist das. Stell dir vor, deine Verwandten kommen mit
zum Bahnhof, um dich zu verabschieden... nur fünf, sechs Stück, da
schaffst du’s nicht, jeden abzuknutschen“.
- „Das ist doch Unsinn“, wirft Glafira ein, „knutsch vorher und warte dann
auf den Zug...“
- „Aber das kannst du nicht machen, Glascha, nicht auf diese Art und Weise.
Es ist doch angenehm, mit den Verwandten, die mitgekommen sind, erst-
mal zum Zug zu schlendern und in den Waggon zu gucken: „Schaut, da
werden wir sitzen“, dann, wie sichs gehört, schmatzt man sich ab, guckt
nochmal am Buffet vorbei, für ein Gläschen, geht zurück zum Zug und
küsst sich erneut ab. Warum geht das denn bei uns, und bei ihnen herrscht
eine solche Hast, als ob alle Reisenden Verbrecher oder Räuber auf der
Flucht seien? Sind sie deswegen früher oder später da, wo sie hinwollen?
Weißt du was? Ich glaube, das machen diese Deutschen aus Geiz, damit
sie unterwegs nicht einen zusätzlichen Bissen zu sich nehmen oder ein
zusätzliches Bier trinken müssen“.
- „Natürlich, weswegen denn sonst?“
- „Aber das Bier ist natürlich sehr verführerisch hier, das ist überhaupt das
Einzige und Beste an Deutschland. Das Bier - so weich wie dein Samt“.
Nikolai Iwanowitsch führt seine kritische Würdigung deutscher Verhältnisse
brummelnd fort und spricht noch weitere Tadel aus, aber Glafira
Semjonowna hört nicht mehr hin und ist damit beschäftigt, das aus der
Reisetasche gezogene russisch-französische Wörterbuch nach bestimmten
Ausdrücken und Phrasen abzusuchen, derer sie, nach ihrer Vorstellung,
bei ihrer Ankunft auf französischem Territorium bedürfe.
Köln erreichen sie, ohne besondere Abenteuer, gegen 21 Uhr, und da bis
zur Abfahrt nach Paris um Mitternacht noch viel Zeit verbleibt, begeben sie
sich ins Restaurant. Der Speisesaal ist überfüllt von Reisenden, die nach
Berlin oder Paris, Mainz oder München wollen. Deutsch wechselt mit Fran-
zösisch, Engländer quetschen zwischen den Zähnen Englisch hervor, und
plötzlich hört man russisch. Nikolai Iwanowitsch zuckt zusammen und dreht
sich um. Glafira Semjonowna ebenso. Vor einer Flasche Rheinwein sitzt am
Tisch ein fetter, breitgesichtiger Mann mit fransigem Bärtchen, lässig in den
Stuhl gelehnt, und streichelt mit seiner fülligen Hand mit Brilliantring am
Zeigefinger über seinen voluminösen Bauch, über den eine massivgoldene
Uhrkette mit einem ganzen Haufen kleiner Münzen baumelt. Gekleidet ist er
in einen grauen Geschäftsanzug, auf dem Kopf eine Melone. Ihm gegenüber
sitzt, ebenfalls sehr bequem, ein hochgewachsener, grauhaariger Schnurr-
bärtiger mit Pince-nez, Zigarre zwischen den Zähnen, stark abgetragenem
Cape und Lammfellhut mit breiter Krempe. Der Fette und der Schnurrbärtige
unterhalten sich auf Russisch.
- „Russen...“ flüstert Glafira ihrem Mann ins Ohr, „setzen wir uns zu ihnen.
Wir können uns bekannt machen und sie über dies und das ausfragen“.
Die Eheleute setzen sich an den Tisch.
- „Kellner! Zwey Bifschteks и zwey Bir!“ kommandiert Nikolai Iwanowitsch
diesen und wendet sich an den Fetten, ihn, den Hut abnehmend, fragend:
„Mir scheint, Sie sind auch Russen? Belieben Sie nach Paris zur Ausstel-
lung zu fahren?“
- „Nein, von der kommen wir, kann von mir aus zum Deibel gehen“, antwortet
der Fette, ohne seine legere Position zu verändern, „ jetzt eilen wir zurück
in unser moskauer Palästina“.
- „Oh, das wundert mich, dass Sie auf die Austellung schimpfen. Alle,
die da waren, haben sie bei uns äußerst gepriesen, vom Gucken würde
man schwindlig, erzählten sie“.
- „Ausgeplündert wird man, ausgeplündert in großem Stil, und leben tut
man da erbärmlich. Natürlich, überall Zivilisation, da plündern sie eben
zivilisiert... четвертак nach четвертак haben wir die 40-Kopeken-Stücke
aus dem Stiefelschaft gezogen, bis wir achtern nicht mehr hoch kamen“.
- „Ist denn wirklich alles so teuer?“ wundert sich Nikolai Iwanowitsch.
- „Naja, so dramatisch ist es nun auch nicht“, wirft der Schnurrbärtige ein,
die Zigarre aus dem Mund nehmend, „ist doch klar, dass zur Zeit
der Ausstellung...“
- „Sie, Graf, schweigen besser, Sie haben ja nicht ihr eigenes Geld ausge-
geben, sondern fremdes, das ist Ihnen natürlich schietegal“, unterbricht
ihn der Fette, „aber ich habe für beide die Groschen auf den Tisch gelegt...
Na, zum Beispiel... bei uns in Moskau krieg ich deren Saint-Julien, selbst
in einer Rotlicht-Kaschemme, für einen Silberrubel, aber in Paris haben sie
mir für den gleichen Wein 16 Четвертаки abgeknöpft - 1 Четвертак zu
40 Kopeken, macht das 6 Rubel 40. Fünf Fläschchen habe ich aus
Übermut und Dummheit hier mit unserem Grafen-Übersetzer geköpft -
hat mich 32 Rubel gekostet“.
- „Aber das war doch nicht der gleiche Saint-Julien, Pjotr Nikititsch...“
- „Sie sind ein Klugscheißer, Saint-Julien ist Saint-Julien... Plünderer
sind das, einfach Verbrecher... einmal haben wir extra eine simple,
russische Fischsuppe bestellt...Übersetzer! Wie hieß das Restaurant?“
- „Brebant“.
- „Also, in diesem ‘Baraban“ sind wir derart ausgenommen worden, das
vergesse ich nicht, das ist mir sogar peinlich, zu erzählen, wieviel wir für
die Fischsuppe gelatzt haben...“
- „Aber Pjotr Nikititsch, sie wollten ja unbedingt einen lebenden Sterlet,
und den müssen sie aus der Donau, aus Österreich beschaffen...
- „Na und? Dafür war er kleiner als eine Mückennase...“
- „Hinterher gabs nochs Lachs aus dem Rhein...“
- „Nun sei ruhig, verteidige die Räuber nicht auch noch... das sind und
bleiben Kriminelle... ich verstehe bloß nicht, warum wir, wir Russen, da
auch noch hinfahren?“, fährt der Fette fort, „bei mir in Moskau hab ich doch
alles, 14-Zimmer-Wohnung mit der Alten und den Kindern, sechs Diener,
brauch nur mit den Augen zu zwinkern, da stürzen schon alle herbei, in der
Auffahrt steht der Traber angespannt, der Zweisitzer mit Gummireifen, und
der Kutscher thront auf dem Bock wie ein Paster... Aber ich muss mich
nach Paris schleppen, um für 20 Francs am Tag in zwei schäbigen Käm-
merchen zu vegetieren, die sich 63 Stufen baben unterm Himmel befinden
und mich von verblödeten und backschietigen Kutschern durchrütteln
lassen. Jeder meiner Angestellten lebt in Moskau doch doppelt so gut, wie
ich in Paris.
Wachst morgens auf und klingelst nach dem Diener - glaub nicht, dass
jemand erschiene. Kein Samowar, kein Kwass, keine Banja, von Botvigne
noch nie was gehört. Ein Hundeleben, gucks dir an: musst morgens
deren räudigen Kaffee trinken, und ab zur Ausstellung. Latschst und
latschst, dass dir die Füße abfallen, und essen kannst du nicht zu Hause,
sondern musst unterwegs irgendwo einkehren. Da sitzt du dann bei denen
und denkst: Батюшки! Wenn die bloß keine Frösche servieren... hinterher
fallen die Augen zu, möchtest dich ablegen und ein wenig schnorcheln,
wie es einem rechtgläubigen Orthodoxen zukommt, aber nichts, weiter
gehts, keine Ahnung wohin, in irgendein Theater...“
- „Weswegen bist du denn mitgekommen? Hättest auch zu Hause schlafen
können!“
- „Du hast doch gedrängt, das sei alles so phänomenal, das ginge nicht an,
in Paris zu sein und sich das nicht anzugucken...“
- „Du brauchtest ja nicht mit!“
- „Wenn du von der Ausstellung direkt nach Hause fährst und die 63 Stufen
hochgehüsert bist, ist die Müdigkeit doch verflogen... dann lieber ins
Theater, sitzt du und guckst, aber was guckst du? Keine Ahnung, verstehen
tust du nichts. Es sei denn, eine Schauspielerin hebt mal ein Beinchen...“
- „Ach, das lügst du doch“, bremst ihn der Schnurrbärtige, „ich habe dir doch
alles übersetzt, was sie auf der Bühne gesprochen haben“.
- „Ein Hundeleben, das wars“, bleibt der Fette bei seiner Meinung und deutet
auf die leere Flasche Rheinwein: „Siehst du, wir sitzen im Trockenen, be-
sorg doch eine Neue. Vor leeren Gläsern zu sitzen, kann ich nicht leiden“.
Nikolai Iwanowitsch rückt näher an die beiden heran: „Sehr angenehm,
im Ausland russische Landsleute zu treffen“, und macht sich und
seine Frau bekannt.
- „Kommerzienrat und Kavalier Besdonnow“, läßt sich im Gegenzug der
Fette vernehmen, und fügt hinzu, auf den Schnurrbärtigen weisend, „und
dieser Herr ist Übersetzer und unser persönlicher Adjutant“.
- „Graf Dmitri Kalinski“, stellt der sich vor, nun seinerseits auf den Fetten
deutend: „diesen unbehauenen Klotz beabsichtigte ich zur Weltausstellung
nach Paris zu schleppen, um ihn zu zivilisieren, allein, er hat meinen
Bemühungen widerstanden“.
- „Weil ich keine gebratenen Austern esse? Nachher verlangst du noch von
mir, marinierte Frösche zu schlucken“.
- „Die Austellung hast du verflucht!“
- „Nicht verflucht, nur festgestellt, dass es sich nicht lohnt, wegen dieses
Nudelauflaufes 700 Werst weit zu fahren. Ich war nur neugierig, was wir
auf dem Gipfel des Eiffelturmes essen und trinken können, alles andere
haben wir auch schon in Moskau, auf unserer Gesamtrussischen Ausstel-
lung gesehen. Natürlich nicht in diesen enormen Ausmaßen, aber eben die
Ausmaße sind mir auf den Keks gegangen. Du läufst und läufst durch
irgendeine Abteilung, guckst und guckst immer auf das Gleiche, zum
Kotzen. Haut doch ab mit allem eurem Leder oder Samt! Ist doch alles
identisch, wie bei Iwan, so bei Stepan, wofür muss man dafür einen
ganzen Gemüsegarten von Vitrinen aufstellen!“
- „Was für ein seltsamer Mensch“, sagt der Schnurrbärtige, „und der ist
immer so. Ausgezeichnetes Brot gibts in Paris, aber der kriegt sofort
Sehnsucht nach dem russischen Weißbrot“.
- „Nicht seltsam, eben authentisch. Bin eben slawophil, Bruder“.
- „Da sagen Sie bitte, Landsmann, wo Sie in Paris abgeblieben sind?“ fragt
ihn Nikolai Iwanowitsch, „Wissen Sie, ich würde mich gern am Bahnhof in
eine Kutsche setzen und sagen: Fahren Sie uns bitte da und dort hin. Wo
haben Sie denn gewohnt?“
- „Keine Ahnung, verehrter Herr, absolut keine Ahnung. Das weiß alles der
da, mein Adjutant“.
- „Am besten bleiben Sie da, wo man Sie reinlässt“, sagt dieser, „sollten Sie
auf ein Hotel mit freien Zimmern treffen, nehmen Sie’s. Wir haben zehn
Straßen abgeklappert, bis wir eine Unterkunft gefunden hatten. Alles
besetzt, besetzt, besetzt“.
- „Glascha, hast du das gehört? Das sind ja Aussichten! Durch die ganze
Stadt muss man fahren, um ein Zimmer zu finden, wie ärgerlich“, schüttelt
er den Kopf, „insonderheit ärgerlich, weil das Französisch bei uns aus
zwei, drei Wörtern besteht: bonjour, merci und da buar“.
- „Das lügst du doch! Ich kenne noch mehr Wörter auf Französisch, sogar
reden kann ich“, ruft Glafira Semjonowna empört.
- „Wär ja gut, wenn’s so wäre, aber denk an meine Worte: sind wir erst in
Paris, werden dir die Wörter in der Kehle steckenbleiben. Aber meine
Herren, erlauben Sie mir doch die Frage: wie kommen wir denn von hier
nach Paris ohne umzusteigen? Vor diesem Umsteigen von Waggon zu
Waggon habe ich irgendwie Angst, zweimal haben wir uns auf diese Art
schon vertan und verfahren“.
- „Dazu kann ich nichts sagen, mein Herr, überhaupt nichts. Fragen Sie den
Grafen, er hat mich geführt“.
- „Ohne Umsteigen...ohne Umsteigen...legen Sie sich doch einfach in den
Schlafwagen und schlafen Sie bis Paris. Im Schlafwagen werden Sie an
der Grenze auch nicht von den Zöllnern belästigt“.
- „Das ist gut, das ist eine ausgezeichnete Idee! Glascha, hast du gehört,
wir nehmen einfach einen Platz im Schlafwagen“.
- „Entschuldigen Sie, aber hatten Sie bereits telegrafiert?“
- „Was meinen Sie?“
- „Haben Sie von unterwegs kein Telegramm geschickt und einen Platz
bestellt? Ohne Telegramm kein Platz“.
- „Glascha, hast du das gehört? Sogar für den Schlafwagen ein Telegramm!
Tz, Deutsche“.
- „Tja, so ist das hier geregelt...“
- „Moment, aber es ist doch wohl erlaubt, in einem normalen Waggon zu
schlafen, auch ohne Telegramm?“ informiert sich Nikolai Iwanowitsch.
- „Selbstverständlich“
- „Na Gott sei Dank, ich hatte schon geglaubt...“
Eine Glocke ertönt und ein Bahnbeamter ruft etwas auf Deutsch, dabei
„Berlin“ erwähnend. Der Schnurrbärtige erhebt sich: „Nun trink deinen
Rheinwein aus, Petr Nikititsch“, sagt er zum Dicken, „wir müssen
einsteigen“.
- „Ganz wie du willst, aber ich sage dir gleich, dass ich in Berlin keine
Stunde bleibe - gleich in den nächsten Zug und ab in die Heimat“.
- „Unsinn, auf gar keinen Fall, ich muss dir doch die berliner Deutschen
vorführen... und überhaupt: wie willst du Europa verstehen, wenn du
Bismarck nicht gesehen und das berliner Bier nicht getrunken hast!“
- „Trinken wir auf dem Bahnhof“.
- „So geht das nicht, wir bleiben dort zwei Tage, besuchen die beste Bier-
halle und den Zoologischen Garten, wo ich dir die Berliner zeigen kann -
so eine Rasse hast du bestimmt noch nicht gesehen“.
- „Ich hab keine Lust, in Berlin zu bleiben..“
- „Doch, doch, wenn ich dableibe, bleibst du auch... wohin willst du denn
allein fahren? Ohne mich verirrst du dich doch... Nun komm schon...
Meine Verehrung, die Herrschaften...“ verbeugt sich der Schnurrbärtige
vor unserem Ehepaar, ruft einen Gepäckträger herbei, übergibt ihm das
auf dem Tisch liegende Handgepäck und begibt sich zum Bahnsteig.
Unter Ächzen und Stöhnen erhebt sich auch der Slawophile, ihm hinterherzu-
eilen, verbeugt sich aber ebenfalls noch und bemerkt, schon im Gehen
begriffen: „Also was den Nepp und das Hundeleben angeht - denken Sie an
meine Worte, wenn Sie in Paris sind ...Sie entschuldigen uns?“
Gleich nach der Abfahrt des Zuges nach Berlin wird der Pariser Zug ange-
kündigt und unser Ehepaar beeilt sich.
- „Wo? Wo? Wo Zug in Paris?“ bestürmt Glafira einen Bahnangestellten und
drückt ihm 20 Pfennige in die Hand.
- „Kommen Sie mit, Madame, ich zeige es Ihnen...“. Er führt sie zum Zug
und nach einer halben Stunde eilen sie Paris zu.
Tiefe Nacht. Der vollkommen ruhige Gemütszustand Nikolai Iwanowitschs
ist der Gewissheit geschuldet, dass er mitsamt seiner Ehefrau direkt nach
Paris unterwegs ist, und zwar ohne Umsteigen, durchaus aber auch dem
reichhaltigen Abendessen und den Mengen an Bier und Rheinwein, welchen
er in Köln zugesprochen hat. Besonders letztere verhelfen ihm zum
schönsten und tiefsten Schlaf. Sein Schnarchen ist derart, dass es das
Schlagen der Räder übertönt und bei Glafira Semjonowna zu einer
ausgesprochenen Mißstimmung führt.
Sie kann nicht schlafen und fühlt sich plötzlich verzagt. Sich mit ihrem Mann
zu zweit im Abteil befindend, erinnert sie einen Roman, in dem sich zu zweit
im Abteil befindende Passagiere während der Fahrt von Übeltätern
ausgeraubt, massakriert und auf die Schienen geworfen werden.
Gut, im Roman ist von allein im Coupe reisenden Frauen die Rede,
so überlegt sie, während sie sich in Begleitung ihres Ehegatten befindet,
eines Mannes also, könnte man sagen, nur was heißt das schon,
wenn dieser Mann schläft wie bewusstlos?
Welchen Schutz kann er bieten? Die Räuber springen ins Coupe, einer wirft
sich auf den schlafenden Gatten, der andere geht ihr an die Kehle und
das wars dann. Schreien? Wer sollte das hören? Das Coupe hat keine
Verbindung zu den Nachbarcoupes, der Zugang erfolgt über das Trittbrett
außen am Waggon.
- „Nikolai Iwanitsch...“, rüttelt sie schließlich an den Schultern des
schlafenden Gatten.
Es erfolgen ein durchdringender Schnarchlaut und ein Brummen, aber kein
Augenöffnen.
- „Nikolai Iwanitsch, wach doch auf... ich habe Angst...“ sie zieht ihn am
Ärmel.
Nikolai Iwanowitsch öffnet die Augen, schaut schlaftrunken auf seine Frau
und fragt: „Sind wir schon irgendwo angekommen?“
- „Nein, wir sind noch unterwegs... aber, verstehst du nicht, mir gehts furcht-
bar, ich habe Angst... du schnarchst wie ein Sägewerk und ich kann nicht
einschlafen, wer weiß, was alles passieren kann...“
Sie erzählt ihm den Vorfall im Roman, nicht ohne hinzuzufügen: „Wie kann
man sich nur in ein Coupe setzen!“
Nikolai Iwanowitsch kommt ins Grübeln.
- „Und dann habe ich vor kurzem noch gelesen“, steigert sich Glafira, „wie
die Räuber auf der Eisenbahn Reisende einschläfern, mit Chloroform, und
du schläfst hier wie tot!“
- „Naja, ein kleines bisschen eingenickt...“ versucht sich Nikolai Iwanowitsch
zu rechtfertigen.
- „Kleines bisschen! Die Räder hat man nicht mehr gehört.... du schläfst
jetzt nicht mehr!“
- „Gut, gut, mach ich nicht... vielleicht ist es besser, ein wenig auf der Hut
zu sein...“
- „Natürlich... die Tür geht nach draußen, sie springen herein, mir an die
Kehle, dir an die Kehle...na, und Ende. Die wissen doch ganz genau,
dass die Leute mit Geld nach Paris fahren!“
- „Nun mach mich bitte nicht auch noch nervös...“ sagt Nikolai Iwanowitsch
mit einem ein wenig veränderten Gesichtsausdruck, „ich weiß gar nicht,
wozu du mir das alles erzählst, ich war eigentlich ganz ruhig...“.
- „Wie wozu?! Damit du gewarnt bist!“
- „Sicher, sicher. Und was soll ich jetzt machen?“
- „Vor allen Dingen nicht schlafen“.
- „Mach ich schon nicht“.
- „Und dann... du hast doch den Revolver in der Reisetasche. Muss der da
liegen? Kannst du den nicht rausholen und unters Kissen legen? Da ist
man doch gleich ruhiger“.
- „Herzchen, der ist doch nicht geladen“.
- „Dann lad ihn doch - wozu hast du ihn denn mitgenommen, wenn du ihn
nicht benutzen kannst?“
- „Naja, also, das ist so, die Patronen habe ich zu Hause vergessen“.
Glafira Semjonowna schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: „So ein
Idiot! Hat man schon so einen Idioten gesehen?!“
- „Na, vergessen ist vergessen, jeder macht Fehler. Mach dir keine Sorgen,
in Paris kaufen wir welche“.
- „Das ist ja noch schöner! Auf dem Weg nach Paris befinden wir uns in
Gefahr, und in Paris will er Patronen kaufen!“
- „Nun warte, ich kann ja mein Taschenmesser...ist ja irgendwie auch eine
Waffe...“
- „Nun hol schon beides und leg sie hier auf den Sitz, vielleicht dienen sie als
Abschreckung“.
Nikolai Iwanowitsch gehorcht, holt beide Waffen heraus und legt sie offen
sichtbar ins Abteil.
- „Nur Mut, Glascha, Gott ist uns gnädig.... vielleicht passiert auch
überhaupt nichts“, beruhigt er seine Frau.
- „Gott hin oder her, aber ich hab dir noch nicht erzählt, dass auf einem
Bahnhof, als wir für eine Minute gehalten haben, du hast geschlafen,
ein riesiger dunkler Mann zu unserem Coupe kam, mit einem breitkrem-
pigen Hut, und sich auf sehr verdächtige Weise alles angeguckt hat. Ist
sogar aufs Trittbrett gestiegen und hat hereingeschaut“.
- „Glascha, mach keine Witze!“
- „Doch, doch, sah aus wie ein Räuber, der Hut, dann so ein Umhang...
mit einem Wort genauso, wie die Banditen hier im Ausland rumlaufen“.
Nikolai Iwanowitsch kratzt sich nachdenklich den Hinterkopf: „Aber später
hast du ihn nicht mehr gesehen, diesen Räuber?“
- „Wie denn, der Zug hat doch nicht mehr gehalten, fliegt doch seit Stunden
wie ein Vögelchen...“
- „Nur Mut, Glascha, nur Mut...“
Plötzlich schlägt irgendwer an die Außenwand, etwas klirrt, ein Licht blitzt
auf. Nikolai Iwanowitsch zuckt zusammen, Glafira Semjonowna fängt an zu
murmeln: „Herr im Himmel, beschütze uns und sei uns gnädig...Nikolai
Iwanowitsch, nun nimm schon den Revolver in die Hand, schnell...“
Er streckt langsam die Hand danach aus, als das Fenster geöffnet wird und
sich das Gesicht des Schaffners zeigt: „Die Fahrkarten bitte, mein Herr“.
Nikolai Iwanowitsch hält in der einen Hand den Revolver und tut so, als spiele
er mit ihm, mit der anderen hält er dem Kondukteur die Billets hin und versucht
dabei, ihm fest in die Augen zu schauen. Mit einem skeptischen
Seitenblick bemerkt dieser: „Jetzt können Sie bis Verhiers ruhig schlafen“.
- „Hast du gesehen, was für eine verdächtige Visage er gehabt hat?“ flüstert
Glafira.
- „Zweifelsohne, sehr verdächtig“.
Die Beunruhigung unserer Eheleute bezüglich eines möglichen Überfalles
durch Räuber war durch die Visage des Schaffners nicht gedämpft,
sondern wird immer stärker und stärker, bis das Höchstmaß des
Schreckens erreicht wird durch den Zustieg eines neuen Fahrgastes
von gigantischer Statur, mit einer dampfenden Pfeife im Mund,
einem ausladenden Hut mit Birkhuhnfeder, Jagdjoppe und Dolch
am Gürtel. Die Figur trägt in der einen Hand einen grauen Regenmantel,
in der anderen ein Gewehr im Futteral.
Glafira Semjonowna fängt an, durchdringend zu winseln und flüchtet
instinktiv zur Tür an der entgegengesetzten Coupeseite.
Dorthin springt auch Nikolai Iwanowitsch, ohne an seinen Revolver
auch nur zu denken. Er ist blass wie eine Leinwand und versucht
heimlich, die Tür zu öffnen, um hinauszuspringen, aber sie ist von
außen verriegelt.
- „Konduktor, Xerr Konduktor“, bringt Nikolai Iwanowitsch halblaut über die
Lippen, wie der Rufer in der Wüste, die Augen ins Nichts gerichtet,
während die Figur auf ihren Sitz krabbelt, die Tür hinter sich schließt
und der Zug abfährt.
Glafira Semjonowna zittert wie im Fieber, schmiegt sich unter Tränen an
ihren Mann und flüstert: „Der Räuber, das ist er, der gleiche, der uns auf
der einen Station beobachtet hat... was sollen wir jetzt tun? Ich könnte
die Scheibe einschlagen und schreien?“
Dem neuen Fahrgast ist nicht entgangen, dass er unser Ehepaar
verschreckt hat, und, sich in Entschuldigungen ergehend,
nimmt er die Pfeife aus dem Mund und spricht die Eheleute sanft
auf Deutsch an: „Bitte entschuldigen Sie, Madame, dass ich Sie
gestört habe, aber bei uns im Coupe war es fürchterlich eng“.
Die beiden verstehen nichts und schweigen.
- „Sie haben sicher geschlafen und sich erschreckt?“ vermutet er weiter,
„ja, ich bin ein wenig plötzlich hereingestürmt, bitte entschuldigen Sie und
beruhigen Sie sich“.
Eine Antwort erfolgt nicht, unser Ehepaar rührt sich nicht. Der Mann setzt
sich ebenfalls nicht und bittet sie, sich doch wieder auf ihre Plätze zu setzen.
- „Glascha! Was hat er gesagt? Will er Geld? Falls ja, schlage ich die
Scheibe ein und springe hinaus“.
- „Nein... ich weiß nicht... er bittet um irgendetwas...“ stottert Glafira.
- „Oh, sind Sie Russen oder Polen?“ fragt der Mann weiter, die fremden
Wörter hörend und keine Antwort erhaltend, „das ist schade, dass Sie
kein Deutsch sprechen“, und er lädt sie mit Gesten ein, sich wieder zu
setzen. Nun bemerkt Nikolai Iwanowitsch am Gürtel der Figur auch die
beiden kopfunter baumelnden Wildenten, zieht seine Schlüsse, und in-
formiert, wiederbelebt, sofort seine Frau: „Mir scheint, das ist kein
Räuber, sondern ein Jäger...guck dir die Enten an...“
Ein wenig leichter ums Herz wird auch Glafira Semjonowna, und, ihre Furcht
bezwingend, antwortet sie: „Ach, darf sich ein Räuber keine Enten schießen?“
- „Wie dem auch sei, aber guck doch, er hat ein gutmütiges Gesicht, sogar
ein bisschen dumm...“.
- „Dir erscheint er so, und mir macht er Angst. Ich möchte dich bitten, ihn
nicht aus den Augen zu lassen, und sei auf alles vorbereitet! Wo ist über-
haupt dein Revolver?“
- „Ach so...ja“, an ihn erinnert, fällt es ihm wieder ein, „der liegt da drüben,
unter dem Kissen“.
- „Na so ein Krieger - in der Stunde der Gefahr vergisst er die Waffe“.
- „Was soll ich denn mit ihm gegen seine Bewaffnung ausrichten?“
- „Er hat das Gewehr doch noch im Etui!“
- „Aber geladen, während ich....“
- „Das weiß doch niemand, nimm ihn schon!“
- „Glascha, irgendwie hab ich Angst... guck doch das Messer an, das der
Teufel am Gürtel trägt...“
- „Und wo hast du deins?“
- „Ich glaube, das ist mir vorhin unter die Bank gefallen...“
- „Ach Gott, Nikolai Iwanowitsch, kann man sich in irgendwas auf dich
verlassen? Schlimmer als jede Frau“.
- „Glascha, Herzchen, du weißt, dass ich nie gedient habe“.
- „Heb lieber dein Taschenmesser auf!“
- „Weiß ich, wo ich das suchen soll... und ich traue mich auch nicht, mich
zu bücken...da ist der Teufel doch gleich über mir! Außerdem ist das
mit Sicherheit kein Räuber, guck, wie er friedlich eine Birne isst“.
- „Darf ein Räuber keine Birnen essen?“
- „Doch, darf er, darf er... also Glascha, ich setze mich jetzt hin, ist ja
schon egal, ob wir sitzen oder stehen...“
Nikolai Iwanowitsch lässt kein Auge vom „Räuber“ und sinkt langsam auf
die Bank dicht am Fenster, mit einem Seitenblick auf die fremde Person tut
es Glafira Semjonowna ihm nach.
Der Deutsche lächelt sie an und spricht sanft: „Haben Sie sich beruhigt? Ach,
das tut mir wirklich leid, sie aus dem Schlaf aufgeschreckt zu haben“.
- „Dich hat er gemeint“, flüstert Nikolai Iwanowitsch, „hast du was
verstanden?“
- „Woher denn?“
Der Deutsche schaut sie weiterhin freundlich an und unsere Eheleute
lassen ihn selbstredend ebenfalls nicht aus den Augen.
So sitzen sie einige Zeit auf entgegengesetzten Seiten im Coupe, als der
Mann zu seiner Tasche greift, ihr zwei Birnen entnimmt und diese mit einem
höflichen ‘Bitte’ den Eheleuten anbietet. Glafira Semjonowna schrumpft
noch weiter zusammen und drückt sich noch enger an ihren Ehemann,
Nikolai Iwanowitsch hingegen möchte schon die Hand darnach ausstrecken,
was aber Glafira verhindert: „Nimm nicht, nimm nicht, vielleicht ist da ein
Schlafmittel drin...“
- Naja, gut möglich...“ zögert Nikolai Iwanowitsch und zieht die Hand wieder
zurück, „andererseits hätte ich sie gern genommen, allein, um ihn nicht zu
verärgern“.
Der Deutsche hält ihnen die Birnen weiterhin entgegen und wiederholt:
„Bitte, nehmen Sie doch, ohne Zeremonie...“
- „Glascha, ich nehme sie, aber essen tu ich sie nicht...“ flüstert Nikolai
Iwanowitsch seiner Frau zu, und zum Mann gewandt, bringt er ein
ebenfalls geflüstertes „Danke“ über die Lippen.
Der Räuber schweigt eine Zeit lang und bemerkt dann auf Deutsch: „An der
nächsten Station werde ich sie von meiner Gegenwart erlösen, dann steige
ich aus“.
Obwohl er natürlich keine Antwort erhält, deutet er auf seine Enten und meint:
„Die bringe ich meiner Frau, das sind meine Jagdtrophäen. Gibt es in
Russland auch solche Enten?“. Er begleitet seine Worte mit Gesten, bleibt
aber wieder ohne Antwort, und als der Zug seine Fahrt verlangsamt, steht
er auf und sucht seine Sachen zusammen. Glafira Semjonowna inter-
pretiert das als Drohung und ruft: „Kolja! Kolja! Nimm schnell den Revolver!“
Nikolai Iwanowitsch springt auf, greift nach der Waffe, die unter einem
Taschentuch auf der anderen Seite der Sitzbank lag und bewirkt ein erneutes
Lächeln des Räubers: „Aha, Sie reisen auch bewaffnet, das ist sicherer
nachts“.
Der Zug hält, der Deutsche verbeugt sich und verlässt unter wiederholten
Entschuldigungen das Coupe.
- „Gottseidank!“ seufzt Nikolai Iwanowitsch erleichtert, „der ist weg. Hat uns
einen ganz schönen Schrecken eingejagt, besonders dir, Glascha, warst
ja ganz weiß im Gesicht“.
- „Ach, du nicht? Dir gings ja noch schlimmer, hast sogar deine Waffe
vergessen!“
- „Na, hol ihn der Teufel, bin froh, dass er weg ist, der Jäger... aber sah
einem Räuber verdammt ähnlich...“
Der Zug jagt weiter durch die undurchdringliche Nacht.
Den nervlich zerrütteten Zustand und die Aufregung unserer Eheleute
nicht achtend, tat der Schlaf seine Pflicht und sie entschlummerten,
wiewohl sie einander versprochen hatten, nicht einzuschlafen.
Glafira erwacht als erste und ist erschrocken, eingeschlafen zu sein.
Der Zug hält an einer Station, wie immer wird mit Hämmern gegen
die Räder geklopft und die Arbeiter rufen sich etwas zu, aber es
scheint ihr, als höre sie französisch. Sie öffnet das Fenster und
lauscht ... tatsächlich Französisch, das Deutsche ist verschwunden.
Verschwunden sind ebenfalls die dicklichen, glänzenden Physiognomien
der deutschen Bahnbeamten mitsamt ihrer Schirmmützen, welche durch
Kepis ersetzt wurden, die auf hageren Gesichtern mit Bärten französischer
Art sitzen, sogar französische Aufschriften prangen auf dem
Bahnhofsgebäude, und gleich die erste, die Glafira Semjonowna in die
Augen fällt, lautet „buvette“.
- „Nikolai Iwanowitsch, französisch! Wir sind in Frankreich!“ rüttelt sie
freudig an ihrem Ehemann.
Doch der schläft, in sein Eckchen geschmiegt und den Revolver in der Hand
haltend. Damit er erwacht, ist ein stärkeres Schütteln erforderlich, das ihn
dazu bringt, die Augen zu öffnen, aufzuspringen und den Revolver fallen zu
lassen: „Schon wieder ein Räuber? Wo?“
- „Was denn für ein Räuber,wir sind in Frankreich, vielleicht schon in Paris“.
- „Unsinn! Da müssen wir fragen...na los, frag! Hast doch geprahlt, dass du
Französisch kannst“.
Glafira Semjonowna lehnt sich aus dem Fenster und ruft zu dem vorbeige-
henden Bärtchen: „Monsieur: Quel station? Paris? Est-ce Paris?“
- „Oh non, Madame, Paris est encore loin. A Paris nous serons le matin“,
lautet die höfliche Antwort.
- „Was hat er gesagt?“ erkundigt sich Nikolai Iwanowitsch.
- „Nein, das ist noch nicht Paris, da kommen wir erst morgens an“.
- „Unglaublich, du hast alles verstanden!“
- „Was denkst du denn? In Französisch bin ich besser zu gebrauchen. Bei
uns in der Pension hatten wir eine richtige Französin...“, rühmt sich Glafira
Semjonowna, „guck die Schilder da: Pour la dame, und dort: pour le
monsieur, und dort: buvette, da kriegen wir was zu trinken“.
- „Also ich, Glascha, würde ganz gerne was trinken, frag doch, wieviele
Minuten wir halten“.
- „Nein, bitte, ich hab Angst, allein zurückzubleiben, wenn wieder ein Räu-
ber..“
- „Ach, die sind doch alle in Deutschland, was sollen die im Ausland?
Außerdem kannst du mitkommen“.
- „Conducteur!“ wieder schreit Glafira über den Bahnsteig, „Combien minute
ici?“
- „Seulement deux minutes à présent, Madame, il vous reste deux minutes“.
- „Mais nous voulons boire...“
- „Да, boire... boire vin rouge, аber Bier ist auch in Ordnung...“ fügt Nikolai
Iwanowitsch hinzu, um auch ein wenig anzugeben, „tja, die alkoholischen
Wörter kenne ich ausgezeichnet“.
Der Kondukteur hält die Hand hin: „Vous voulez prendre du vin rouge?
Donnez-moi de l’argent, Monsieur, je vous apporterai tout de suite“.
- „Was hat er gesagt, Glascha?“
- „Er möchte den Wein selber holen. Combien pour bouteille?“
- „Deux francs. Dépêchez-vous, Madame, dépêchez-vous“.
- „Wie, eine Depesche braucht er?“ fragt Nikolai Iwanowitsch, „geht das
hier auch nur telegrafisch?“
- „Quatsch, gib ihm schnell das Geld, los, zwei französische silberne
Viertelrubel, nun mach hin...“
- „Вот“, Nikolai iwanowitsch drückt ihm das Geld in die Hand, „tout trois
четвертак. Пусть na trois Francs...“, und, zu seiner Frau: „merkwürdig, in
Deutschland gibts nur Essen nach Depeschen, hier nur Getränke...“
- „Ach, Kolja, ich habe doch schon...“
- “...aber wie höflich die hier sind, immer nur bitteschön und ich bringe es
Ihnen sofort...“
- „Na, und ob... ganz erstaunlich höflich und wohlerzogen, kannst du mit den
Deutschen überhaupt nicht vergleichen!“
- „Ach, Glascha, was bin ich froh, dass wir in Frankreich sind...“
- „Und ich erst...“
Der Zug allerdings wartet keine zwei Minuten mehr, bis er losfährt und lässt
den erleuchteten Bahnhof schnell hinter sich.
- „Glascha! Was ist denn jetzt mit den Getränken? Wo bleibt der Rotwein?
Hat der Schaffner uns reingelegt... da hast du deine französische Höflich-
keit“, ruft Nikolai Iwanowitsch verärgert aus, als sich die Abteiltür öffnet
und der eben erwähnte hineintritt, in der Hand eine Flasche und zwei
Gläser.
- „Voyons, Monsieur...Serves-vous...“
- „Вот за это, Monsieur, спасибо, вот за это merci, grand merci, russes
merci...“
- „Monsieur est un Russe?“ fragt der Franzose, „Oh, nous aimons la Russie
et les russes, vivent les russes!“
Ein wenig riecht er nach Wein. Er musste nicht nur gerade eben etwas
getrunken haben, sondern wohl den ganzen Tag schon.
Nikolai Iwanowitsch, dieses bemerkend, fragt seine Frau: „Der
Kerl ist ja ganz schön angeheitert?“
- „Macht nichts, die Franzosen sind auch betrunken liebenswürdig, das ist
ein ganz eigenes Volk“.
- „Vos billets, Monsieur“, verlangt nebenbei der Schaffner.
- „Die Fahrkarten will er“, erklärt Glafira.
- „Also das habich schon verstanden, brauchst nicht immer zu übersetzen.
Wir haben doch schon festgestellt, dass ich auf Französisch alles verstehe
und frei sprechen kann! Вот, Monsieur, billets, voila... a buvez, Monsieur,
не хочешь? Ne voulez buvez vin rouge?“ schlägt Nikolai Iwanowitsch vor.
- „Oh, avec plaisir, Monsieur. Prenez seulement à présent vous-même, et
moi après“, freut sich der Kondukteur beim Knipsen der Fahrkarten.
- „Na, ganz ausgezeichnet, bouvez...“
Nikolai Iwanowitsch füllt das Glas und hält es ihm hin, der Kondukteur weist
es aber zurück: „A présent vous-même, Monsieur, et moi - je prendrais après
vous“.
- „Glascha! Was soll das bedeuten?“ wundert sich Nikolai Iwanowitsch.
- „Er möchte, dass du zuerst trinkst“.
- „Я? Je?... Отлично, tres bien...вот... за здоровье Франсь!“ Nikolai Iwa-
nowitsch leert das Glas auf einen Zug: „Мы любим вашу Франсь, очень
любим! Glascha, übersetz doch“.
- „Nous russes - nous aimons la France“.
- „Oh, Madame, et nous, nous adorons la Russie“.
Unter dem Ausruf „Vive la Russie“ leert der Schaffner das ihm dargebotene
Glas ebenfalls auf ex.
- „Друг! Ami...France et Russie - ami...“ antwortet Nikolai Iwanowitsch und
sie schütteln sich die Hände.
Auf diese Art erreichen Nikolai Iwanowitsch und Glafira Semjonowna Frank-
reich.