Epilog

2009

 

Ich habe das beschrieben, was ich noch erinnere, was ich mit eigenen Augen sah, im Krieg vor sechzig Jahren, ich verurteilte Tatsachen - unmoralisches und gewissenloses Verhalten, unmenschliche Verhältnisse, alles, an dem ich unfreiwillig, wenn auch bewusst teilnahm.

 

Ich lese meine Aufzeichnungen durch und bin von Zweifeln erfüllt.

 

Etwas widerspricht sich.

 

Sind es meine Telefonisten?

 

Bin ich es selbst?

 

1943 vor Minsk habe ich zweifelsohne mit ihnen gefühlt, und im Namen eines Höheren - dem Sieg über das faschistische Deutschland und dem Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft - die Augen verschlossen vor der alltäglichen Missachtung selbst grundlegendster ethischer Prinzipien.

 

1943 waren meine Absichten ehrenhaft und der Weg in die Zukunft hell erleuchtet. Heute, 2009, kann ich meine damalige Naivität, wie auch die Zukunft, nur mit Schaudern betrachten, mein Herz blutet. Damals waren wir offensichtlich mit etwas Anderem beschäftigt. Wie sagten es im Nürnberger Prozess die Funktionäre des Dritten Reiches - sie hätten kriegswichtige Aufgaben und Befehle Höherer ausgeführt. Vor unseren Augen stehen Afghanistan, Tschetschenien, Chruschtschew, Gorbatschow, Jelzin, Juschenkow, Politkowskaja, die Ukraine, Ossetien, Abchasien, Georgien, liebe Freunde, geliebte Frauen...

 

 

 

В Любавичах, меж блиндажей и могил /

 

случайно, счастливо, беспечно /

 

я встретил ее и две ночи любил, /

 

и думал, что это навечно. /

 

Тогда словно голову я потерял. /

 

Друзья надо мною смеялись, /

 

и падали мины, и месяц сиял, /

 

а мы все расстаться боялись. /

 

Ни женщины этой, ни этих друзей, /

 

лишь память одна фронтовая. /

 

Доказывать правду какую-то ей? /

 

Но кто я? И разве я знаю?

 

 

 

In Lubawitsch, zwischen Bunker und Grab

 

zufällig, glücklich und sorglos

 

mit ihr es zwei Nächte der Liebe gab

 

und ich glaubte, das währte endlos.

 

Entrückt mir das Gefühl der Pflicht.

 

Die Freunde mich lächerlich nennen,

 

Granaten fallen, eine Zeit voller Licht

 

wir fürchteten, uns zu trennen.

 

Die Freunde nicht und nicht diese Frau

 

und keine Erinnerungsspur

 

beweisen etwas - und wem denn nur?

 

Wer ist denn das Ich? Wüßt' ich's nur genau.

 

 

 

Я был выхлестнут тишиной, /

шел по пятам за мной /

мой дом, казавшийся мне тюрьмой – /

семьдесят лет в длину. /

Мне ничего не сказал он, /

но, как сказал Честерстон: /

«Человек стреляет в луну, /

чтобы вернуться домой». /

Я бы тоже стрелял туда, /

но, как всегда, мне /

«Нет!» – ответил мой пистолет, /

оставшийся на войне.

 

 

die stille lähmt, sie schlitzt mich auf,

auf meinen fersen folgt mir stets,

empfunden als gefängnis, mein zuhause -

schon siebzig jahre lang.

es schweigt mich an wie nur beton.

doch wie bemerkte chesterton:

der mensch zum monde fährt

dass hier zurück er kehrt“.

ich plante gleichfalls den aufstieg,

doch immer war die antwort „nein“

von der pistole mein -

sie lebt noch immer im krieg.

 

 

Dann kamen der Kalte Krieg, der 20. Parteitag, Chruschtschews Neuland und Tauwetter, die Breschnewsche Stagnation, Gorbatschows Perestroika, Jelzins Weißes Haus, die Privatisierung Tschubaisows, und als Ergebnis, auf dem Hintergrund sich entwickelnder Pressefreiheit und dem einzigartigen Erblühen aller Arten von neuer Kunst - der endlose Krieg in Tschetschenien, das Heraufkommen eines kriminellen Kapitalismus und des internationalen Terrorismus. Aber ich bin kein Soldat und Offizier mehr, sondern ein Künstler und Dichter, auf dessen Schultern sechsundachtzig Jahre Leben lasten und der trotz allem vor und nach dem Krieg überzeugt war, dass alles noch vor uns liegt. Das hatte ich in den 40er Jahren verstanden, davon sprach ich in den 90ern, das fühlte ich, als ich die letzten Bücher als Künstler gestaltete: das Buch Kohelets und Hiobs und der Propheten.

Alles liegt vor uns!

 

 

Март 1945 года – март 2009 года

 

Весна сорок пятого, март, двадцать три, /

осколки и дым. – Говори, говори! /

Пилотка, значок, фотография, карта, /

немецкие фольварки и города. /

(Мы даже с тобой не простились тогда.) /

Шинель, гимнастерка и мысли некстати /

о школьнице Кате, о девушке Кате, /

как мы в блиндаже целовались, шутя. /

Горящая улица, школьная парта... /

Мне страшно сидеть двадцать третьего марта /

над картой семь лет и полвека спустя.

 

März 1945 - März 2009

 

frühling 45, märz, am dreiundzwanzigsten,

splitter und rauch. - nun sprich es aus!

schiffchen und sternchen, foto und karte,

vor der deutschen stadt das bauernhaus.

(sogar den abschied von dir ich ersparte).

unterhemd, mantel, unpassend erinnern

an die schülerin katja, an katja, das mädchen,

wie wir im bunker uns küssen und scherzen.

wie heiß war die straße, die schulbank...

wie merkwürdig jetzt, dreiundzwanzigster märz,

auf die landkarte schauend, sieben jahr

und ein halbes jahrhundert später.