Kapitel 5

Allein

Im Haus ist niemand mehr.
Durch alle Ritzen pfeift der Wind. Draußen ist Hundewetter (warum Hunde?).
Eigentlich ist der Wind ganz schön dumm: wütet im nackten Park, wo
nichts mehr zum Abreißen ist. Im Hof werde ich noch einigermaßen mit ihm
fertig  -  Rücken zum Wind, Kopf nach unten, Beine auseinander  -  und
„drauf gespuckt“, wie der Gärtner immer sagt.

Aber im Zimmer kann man sich nirgends vor diesem Banditen verstecken. Er
stürmt und braust von überall herein, unter der Tür, durch die Fensterritzen,
durch Schornstein und Kamin und quiekt und winselt und heult, als ob seine
Mutter eine Hündin gewesen sei. Er hat kein Gesicht und keine Stimme,
keinen Bauch und keinen Hintern. Womit er heult  -  kapier’ ich nicht.

Ich verstecke mich unter dem Sofakissen, mach’ die Augen zu und
versuche, nicht hinzuhören.

Ich spendiere eine volle Tasse Haferbrei (widerliches Zeug), wenn mir
jemand erklären könnte, warum es so etwas wie Herbst oder Winter gibt.

Auf der Landstraße ein solcher Schlamm und Dreck, wie ich ihn nur unter
dem Nashorn im Zoo gesehen habe.
Feucht. Nass. Nackte Zweige schlagen aneinander und niesen. Die Krähe,
kahle Vogelscheuche, ärgert mich: „Kra! Warum haben sie dich nicht mit

in die Stadt genommen?“
Weil ich keinen Bock hatte!
Jetzt tut’s mir leid, aber ich halte durch wie ein Held.
Nur gestern habe ich ein bißchen am Kamin geweint, fürchterlich war mir
zumute in Dunkelheit und Kälte. Eine Kerze entdeckt, aber anzünden kann ich sie nicht. U-u-u-u.
Zum Gärtner will ich nicht. Er geht mir auf die Nerven: Warum seien denn bei
mir die Pfoten immer so schmutzig? Holzpantinen soll ich überziehen, was?
Ach, ach, die einzige Freude bestand bis jetzt darin, dass ich im Schrank eine
vergessene Zigarrenkiste mit Bleistiftstummeln aufstöberte. Habe aus der Speisekammer ein altes Haushaltsbuch mitgehen lassen und kann nun mein Tagebuch weiterführen.

Wenn ich ein Mensch wäre, würde ich unbedingt eine Zeitschrift für Hunde
herausgeben.


                                ***

Es kratzt und raschelt ...Mäuse...
Obwohl man das von Foxterriern nicht vermuten würde, habe ich Mäuse
sehr gern. Was kann man ihnen vorwerfen, außer, dass sie so klein sind und
immer essen wollen? Gestern trippelte ein Mäuschen herein und versuchte, eine vertrocknete Nuss wegzurollen. Ich spiele auch gern mit allem Runden. Nur zu gern wollte ich mitspielen, hielt mich aber zurück: Ruhig, Dummkopf, bleib’ liegen! Du bist doch so groß wie ein Elefant, erschreckst die Kleine und sie kommt nie wieder.
Bin ich nicht klug?
Heute war eine andere so mutig, auf den Diwan zu klettern und an meiner
Pfote zu schnuppern. Ich biss mir auf die Zunge und zuckte nur ein bisschen.
Tjaf! Ach, wie ich sie liebe!
Ich weiß nur nicht, wie ich eine von der anderen unterscheiden soll. Falls die
Katze es wagen sollte, sie anzufassen, jage ich sie auf die allerhöchste
Tanne und stehe unten den ganzen Tag Wache. Wuff! Altes Luder! Ich hasse
dich!
Warum die Tannen wohl den ganzen Winter grün sind? Ich glaube, weil sie
Nadeln haben. Blätter reißt der Wind ganz leicht ab, aber Nadeln  -  probier’s
ruhig! Die sind so fein, da weht der Wind hindurch wie durch ein Sieb.

                                     ***
Wenn ihr wüsstet, wie abgemagert ich jetzt bin....
Sinas Tante wäre froh, wenn sie so aussehen würde, wie ich.
Ständig möchte sie abnehmen, aber den ganzen Tag moppelt sie und
schnürt ihr Korsett noch enger.
Der verfluchte Gärtner hat sich mit der Concierge abgesprochen, alle Lebens-
mittel futtern sie selbst, und mir kochen sie nur diesen widerwärtigen Haferbrei. Dem Hofhund geben sie die großen Knochen und Suppe mit Schwarzbrot. Er teilt mit mir,

nur wie soll ich einen Knochen ins Maul nehmen, der so
schwer ist wie ein Bügeleisen? Und die Suppe?.... einfach Spülwasser.
Sogar die Milch ist ihnen zu schade für mich, den Geizhälsen. Dabei kriegen
sie die von der Kuh und geben sie nicht selbst.
Vielleicht sollte ich selbst melken: mit der Kuh bin ich befreundet, sie hat mir
immer ihren Atem ins Gesicht gepustet, wenn ich zu ihr kam. Allein, wie sollte
ich melken mit meinen unglückseligen Pfötchen?

Ich habe mir etwas ausgedacht.
Ziemlich peinlich, aber was soll’s. Essen muss man. Wenn der Regen nach-
lässt, laufe ich manchmal in den Nachbarort zu einem Bistro, dessen
Wirt ich kenne. Abends tanzt man dort zu Grammophonmusik. Foxtrott.
Wahrscheinlich ein Hundetanz. Heute bin ich hin: Stell’ mich auf die Hinterpfoten,

ziehe den Bauch ein, drehe mich zur Musik und verbeuge mich mit
dem Kopf. Alle Paare hören sofort mit dem Tanzen auf, versammeln sich um
mich im Kreis und lachen so, dass man das Grammophon nicht mehr hört.

Ich hab’s kaum nach Hause geschafft, nach dem vielen Fleisch, das ich zur
Belohnung fressen durfte. Zwischen die Zähne hatte ich sogar noch einen Kalbsknochen geklemmt, für’s Frühstück morgen.

So ist man gezwungen, sich auf Grund von Hunger zu demütigen.
Nur schade, dass es hier keinen anderen kleinen Hund gibt. Wir könnten zu
zweit miteinander tanzen und wären immer satt.

                              ***
Jetzt muss ich einmal all meine Kümmernisse aufschreiben, damit ich sie
später nicht vergesse.
Der Hahn hat mich für nichts und wieder nichts in die Nase gepickt. Ich war
einfach vorbeigekommen und wollte grüßen. Warum schlägst du mich,
unverschämter Prahlhans...
Geweint habe ich, geweint,  die Nase in einen Pott Regenwasser gesteckt
und mich bis zum Abend nicht beruhigen können.

Sina hat mich vergessen!

In meine Tasse mit Haferbrei ist eine schwarze Kakerlake geklettert, hat
noch kurz nach Luft geschnappt und ist ertrunken. Iii - wie ekelhaft! Vögel,
außer Hähne, gehen ja noch. Katzen: natürlich widerwärtig, aber immerhin Tiere.

Aber wer bitteschön braucht schwarze Kakerlaken?!

Auf der Chaussee bin ich fast von einem Auto angefahren worden. Warum
hupt der nicht vor der Kurve? Warum bespritzt er mich mit Dreck? Wer soll
mich denn saubermachen? Ich hasse Autos. Und ich ver-ste-he-sie-nicht...

Sina hat mich vergessen!

Im Gemüsegarten habe ich ein wildes Kaninchen aufgescheucht, bin hinter-
her und an Stacheldraht hängengeblieben. Uuj-uuj-uuj, tut ganz schön weh!
Sina hat gesagt, wenn man sich an rostigem Eisen verletzt, soll man
sofort Jod draufschmieren. Aber wo kriege ich Jod her? Außerdem zwickt
das ganz schön, das weiß ich genau...

Die Mäuse haben in mein Tagebuch Löcher gefressen. Nie wieder werde ich
Mäuse gern haben!


Sina hat mich vergessen...

Heute habe ich im Billiardzimmer ein Stück alter Schokolade gefunden und
sofort aufgegessen. Das ist natürlich kein Kümmernis, sondern Grund zur
Freude. Aber davon habe ich so wenig, dass es nicht für ein neues Kapitel
reicht.

Einsamer, unglücklicher,
hungriger und durchgefrorener
Fox Mikki