Tagebuch des Foxterriers Mikki

In Russland ein Klassiker, auch auf Grund der sprachlichen Ausdrucksweise und Prägnanz des Autors, ist das Werk bisher in Europa und den USA so gut wie unbekannt, wie Tschorny überhaupt, dessen Name hier nur in einigen Liedern weiterlebt, die Schostakowitsch nach seinen Gedichten komponiert hat.

 

Nabokov bedauert, seine persönliche Dankbarkeit nicht zu Tschornys Lebzeiten ausgesprochen zu haben “...теперь, когда от него осталось только несколько книг и тихая, прелестная тень...“ - “...jetzt, da von ihm nur einige Bücher und ein stiller, entzückender Schatten verbleiben...“ - jetzt wäre es auch für uns an der Zeit, diesen russisch-jüdischen Ironiker, diesen optimistischen Pessimisten wahrzunehmen.

 

Das „Tagebuch“ erschien im Selbstverlag des Autors erstmals 1927 in Paris in einer numerierten Auflage von 200 Exemplaren mit Zeichnungen von F.S.Roshankowski. Tschorny lebte damals in der Rue (heute Avenue) Theophile Gautier mit seiner Frau und einem Foxterrier namens Mikki, über dessen Charakter wir uns einige Vorstellungen machen können. Tschorny bleibt fast immer zu Haus, geht nirgendwohin, sieht kaum jemanden. Vielleicht ist ihm die Stadt zu groß und geräuschvoll, oder er hat es satt, russische Emigranten zu besuchen, die stets unzufrieden sind, sich ständig über Gott und die Welt beschweren oder zwecks Gelderwerbes für nichts Zeit haben und von Termin zu Termin hetzen.

 

Tschorny also bleibt zu Hause und schreibt und liest. Mikki sitzt jeden Morgen

geduldig vor der Wohnungstür, bis die Concierge die Tageszeitung durch den

Schlitz schiebt, welche er sofort ins Maul nimmt und mit ihr zu seinem Herrchen ins Schlafzimmer und in dessen Bett stürmt. Bei allen vortrefflichen Eigenschaften, die wir dank des Berichtes seines Herrchens kennen, hat aber auch Mikki seine Schwächen. Fotografien und brennende Streichhölzer liebt er nicht: letztere versucht er, sofort auszulöschen, Fotos reißt er, wenn er ihrer habhaft wird, in Fetzen.

 

Das Mittelmeer und den Strand lernt Mikki durch die Urlaube seines Herrchens kennen, die stets in der Provence verbracht werden. Hier, in einem kleinen Dorf, von dessen Hügel, so man ihn erklimmt, das Mittelmeer sichtbar ist, kann Tschorny, mehr zufällig, ein winziges Häuschen erwerben, fast ohne Grundstück. Aber er liebt es, am Strand zu sitzen, wenn dieser leer ist, um zu sich zu kommen, seine „Seele zu pflegen“, Gedichte zu schreiben und nicht darüber nachzudenken, wie schwierig ein Leben im Exil ist, wie unter dessen Bedingungen die Gefühle vieler zur Poesie erkalten und dass das

Ergebnis 25-jähriger Arbeit als Schriftsteller mit einem mehr als landesweiten Renommee gerade diese kleine Hütte darstellt.

 

In der Tschorny auch überraschend mit 52 Jahren stirbt. Mitten in der Nacht

bricht im Dorf Feuer aus, er eilt hinaus, um den Nachbarn zu helfen und

erleidet nach seiner Rückkehr einen Herzanfall. Mikki, so sagt die Legende,

legt sich auf die Brust seines toten Herrchens, um kurz nach ihm zu sterben.

 

„Mikki“ ist kein reines Kinderbuch, Tschorny schreibt „ernsthafte“ Geschichten stets für „Kinder und Erwachsene“ oder „Für Große und Kleine“. Wendet er sich nur an Erwachsene, heißt das Buch dagegen „Nicht-ernste Erzählungen“ oder er reimt - im Stile Heines „Theetisch“ und „ästhetisch“ - „Sonetty“ auf „Kotletty“.

 

Tschornys „Mikki“ ist ein Hund von mehr als gesundem Selbstbewußtsein, vorlaut, impertinent, durchaus respektlos, manchmal unverschämt, doch stets voller Empathie, zartfühlend und empfindlich und kennt auch Stunden, in denen er verzagt, unsicher und verzweifelt ist. Sein Verhalten ist immer sehr emotional und sehr direkt, nie schämt er sich seiner Gefühle, die vor allem seinem Frauchen, einem kleinen Mädchen gelten, doch schließt er ebenso jegliches Mitgeschöpf, das ihm freundlich begegnet, in sein Wohlwollen ein.

 

Tschorny gelingt es, seine Geschichte zu erzählen, ohne ins Kitschige oder Sentimentale zu verfallen, nichts wird ausgelassen oder zurechtgestutzt, weil es nicht „kindgerecht“ sein könne, dem Leser werden Geist und Kolorit der 20er Jahre veranschaulicht.

 

„Das Tagebuch Mikkis“ bezieht seinen Reiz vom charmanten und frechen Charakter seines Helden, von der Präzision und Ironie, mit der letztlich ja auch kindliches Verhalten beschrieben wird und natürlich von der bildhaften, originellen und lebendigen Sprache und Ausdrucksweise des Autors, die sich leider nicht verlustlos übertragen ließ.