Kapitel 52 - 56 Shopping

Kapitel 52

Der erste Tee

Es ist noch nicht elf, als das Spektakel im „Eden“ endet. Die Eheleute
möchten nach Hause fahren, aber zu ihrer nicht geringen Verwunderung
zeigen sich keine Kutschen. Infolgedessen sind sie gezwungen, den

Heimweg zu Fuß anzutreten, wobei die Entfernung zum Hotel, nebenbei

bemerkt, nicht allzu groß ist. Dieses Mal führt Glafira Semjonowna ihren

Mann in völliger Gewissheit über den Weg heimwärts. Die gestrige

nächtliche Suche hat sie bereits mit allen Straßen bekannt gemacht,

die Richtung Hotel führen.


Hier an der Ecke ist das Haushaltswarengeschäft, noch nicht geschlossen,
und unseren Eheleuten fällt ein, dass sie Spritkocher und Teekanne kaufen
wollten, um ihren Tee selbst brühen zu können. Danach gehen sie auch noch
in den Lebensmittelladen und holen Würste und Käse sowie Brot, das sich dort ebenfalls finden lässt. Sie begeben sich nach Hause: Essen haben sie,
aber zu ihrer großen Bekümmernis keinen Spiritus für den Kocher.

Wo sie diesen kaufen könnten, wissen sie nicht, nicht einmal,

wie er auf Französisch heißt, um danach zu fragen.

-  „Nichts zu machen, müssen wir uns eben wieder ohne Tee schlafen legen“,
    schlussfolgert Nikolai Iwanowitsch und fügt, mit einem tiefen Seufzer, hin-
    zu: „Ech, das pariser Leben. Und dann sagt man noch - zivilisiert“.

Erneut ist die Hoteltür verschlossen, wieder müssen sie klingeln und wieder
öffnet ihnen der Hausherr selbst, wie gestern ohne Jackett und nur
mit Weste und Pantoffeln. Im Flur neben der Treppe sind zwei Klappbetten
aufgestellt, und aus jedem ragt unter der Bettdecke ein Kopf mit weißer
Nachtmütze hervor. Im schwachen Schimmer der heruntergedrehten

Gaslampe glauben unsere Eheleute, in einem von ihnen den jungen Kellner,

der sie auf dem Zimmer bedient hatte, wiederzuerkennen.

-  „А что, vin rouge можно à prèsent получить? On peut?“ erkundigt sich
   Nikolai Iwanowitsch beim Hausherrn.

Der runzelt zwar die Stirn, bejaht aber die Frage. Es ist offensichtlich, dass
in diesem kleinen Hotel jegliches Leben bereits um 23 Uhr beendet ist und
Gäste und Diener schlafen.

Über die schlecht erleuchtete Treppe zu sich nach oben geklettert, finden sie
auf dem Fußboden neben ihrer Tür einen Kerzenhalter mit Stummel und

einen Haufen Streichhölzer, entzünden den Kerzenrest und gehen auf ihr
Zimmer. Bald erscheint auch der Wein, vom Hausherrn selbst gebracht, der
ihn auf dem Tisch abstellt und in einem belehrenden Ton zu ihnen spricht:
   „Je dois vous dire, Monsieur, qu’à onze heures nous finissons déjà notre
    travail. Il faut se reposer. Bon soir, Monsieur et Madame...“, er verbeugt
    sich und geht.
-  „Was hat er gesagt?“
-  „Ich habe überhaupt nichts verstanden“, gibt Glafira zu.
-  „Herrje, Französin, Französin... zu was haben sie euch bloß in die Pension
    geschickt...“
-  „Gelernt haben wir, bloß nicht diese Vokabeln... und außerdem haben wir
    beim Übersetzen immer ein Wörterbuch benutzt“.

Morgens, nach dem Erwachen, gilt der erste Gedanke bei beiden dem Tee.
-  „Glascha! Wie kommen wir bloß zu unserem Tee“, seufzt Nikolai Iwano-
    witsch, sich im Bett streckend, „seit wir im Ausland sind, haben wir kein
    einziges Mal unseren Tee auf anständige Art und Weise genießen können.
    Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber ich habe schon Sehnsucht. Normal
    schlürfe ich an die zehn Gläser am Tag - und jetzt eine solche Reduktion,
    kein einziges mehr. Wir rufen jetzt sofort den Flurkellner und du überredest
    ihn, dass er uns um Himmels Willen eine Flasche Spiritus für den
    Kocher besorgt“.
-  „Lass mich nur schnell im Wörterbuch nachgucken, was Spiritus heißt“,
    antwortet Glafira, blättert und liest: „Спирт.... esprit... esprit de vin...“

Schnell kleiden sie sich an und klingeln nach dem Diener, der auch erscheint,
in seiner unabänderlichen Mütze aus Schreibpapier und mit Pantoffeln.

-  „Plaît-il, Monsieur...“ in einer abwartenden Pose bleibt er in der Tür stehen
    und lächelt dümmlich.
-  „Pouvez-vous s’acheter pour nous bouteille esprit de vin?“ fragt ihn Glafira.
   
Er lächelt noch eine Spur dümmlicher: „L’esprit de vin... c’est la boisson
    russe?... Oui, Madame“.

Er rennt los und kommt nach einer Viertelstunde, ganz außer Atem, mit
einer Flasche und zwei Gläsern zurück.
-  „Guck dir das an, Nikolai Iwanowitsch, er glaubt, dass wir den Spiritus
    trinken wollen“, lacht Glafira Semjonowna, „Pourquoi les verres? Il ne
    faut pas les verres“.

Der Diener grinst wieder dümmlich und fragt: „Mais comment est-ce que
   vous prendrez, Madame, sans verre?“
-  „So ein Dummkopf“ , entfährt es Glafira, „Да это разве пить? Разве это
    pour boire? Ce ne pas poure boire!“
-  „Comment donc pas, boire? Et j’ai lu, Madame, que les russes prennent
    tout ça avec grand plaisir... c’est l’eau de vin russe...“
-  „Да это идиот какой-то! Allez, allez... er glaubt steif und fest, dass wir
    diesen Spiritus trinken... ce poure faire thé... comprenez-vous? Pour thé.
    Вот“.

Zum Beweis zeigt ihm Glafira den gestern gekauften Kocher und

die Teekanne.
-  „Ah!“ grinst er, geht aber nicht, „il faut voir, comment vous ferez le thé,
    Madame!“
-  „Allez, allez...“

Aber er bleibt einfach im Zimmer stehen und grinst weiter: „Pardon, Madame,
    il faut voir...“

Glafira Semjonowna gießt den Wodka in den Kocher, entzündet diesen und
stellt die Teekanne mit Wasser darauf. Der Junge schüttelt nur den Kopf und
wiederholt immer wieder: „C’est curieux, c’est curieux... le thé á la russe,
    c’est curieux...“ und fragt dann auf Französisch: „Und, Madame, stimmt es
    wirklich, dass in Petersburg Bären auf den Straßen herumlaufen, dass es
    gar keinen Sommer gibt und immer Schnee liegt?“

Glafira kann ihm aber nicht folgen und sagt zu ihrem Mann: „Verstehst du,
   was er da murmelt, Nikolai Iwanitsch? Jag ihn doch um Himmelswillen weg,
   ich hab schon gesagt allez allez, aber er steht da und murmelt vor sich hin“.
-  „Garçon, вон! Проваливай!“ ruft Nikolai Iwanowitsch ernergisch und
    zeigt auf die Tür.

Schritt für Schritt zieht sich der Diener zurück, dabei alles beobachtend und
den Kopf schüttelnd, um schließlich das Zimmer zu verlassen.

-  „Wilde, das sind doch völlig wilde Leute hier“ empört sich Glafira Semjo-
     nowna, „und das in Paris, von dem man uns immer erzählt, hier herrsche
    die höchste Bildung“.

Schon bald fängt das Wasser an zu kochen, Glafira kann den Tee brühen
und schon eine Minute später genießen unsere Eheleute ihren Чай.

-  „Wenn man abends was Salziges gegessen hat, wie tut das dann morgens
    gut, sich erst einmal mit einem Tee zu verwöhnen“ stöhnt wohlig Nikolai
    Iwanowitsch, nachdem er das erste Glas getrunken und sich das zweite
    eingegossen hat.
-  „Natürlich, das ist hundertmal besser, als denen ihre Kaffeebrühe mit einer
    Suppenkelle aus Suppentassen zu löffeln“.

Sie trinken ihren Чай aus den Gläsern, die im Zimmer neben der Wasserka-
raffe standen, ohne Untertässchen und mit nur dem einen Teelöffel, den sie
für die Fahrt aus Petersburg mitgenommen hatten. Um die Neugier des
jungen Hoteldieners nicht erneut zu befeuern, verzichten sie darauf, ihn ein
zweites Mal zu rufen und um ein Service zu bitten.

Kapitel 53

Pariser Straßenleben

Nachdem sie genüßlich ihren Tee mit ein paar belegten Broten verzehrt
haben, machen sich unsere Eheleute fertig, um die Magasins du Louvre
zu besuchen. Glafira Semjonowna entscheidet sich für eine zurückhaltende

Garderobe - ein einfaches Wollkleid und ihren schlichten Regenmantel

aus leichtem Stoff.
-  „Ach was, das lohnt doch hier nicht, die guten Sachen abzunutzen, für
   wen denn auch... alle Damen laufen in Lumpen und abgewetzten
   Kleidchen...“ äußert sie ihrem Mann gegenüber, während sie sich
   zurechtmacht.

Auf den Straßen herrscht bereits lebhafter Betrieb, als sie aus dem Hotel
kommend durch die Seitengassen gehen und auf die große Rue de Lafayette
einbiegen. Die städtischen Uhren, auf Pfeilern an den Kreuzungen angebracht,

zeigen halb elf Uhr. Riesige Omnibusse, mit Fahrgästen überfüllt,
donnern vorbei, in ganzen Ketten fahren Einspänner hintereinander und
zwischendrin führen Männer die Pferde von Lastfuhrwerken, ebenfalls in
ganzen Reihen und Zügen. Ihr Peitschenknallen klingt wie Gewehrschüsse,

sie versuchen, sich zu beeilen und stoßen sich gegenseitig sowie

die Fußgänger an, sich daraufhin entschuldigend; vor den geöffneten Läden
präsentieren Händler verschiedenste Waren auf der Straße, rufen laut deren
Preise aus oder fuchteln gar mit ihnen herum.

-  „Tout en soie...Quatre-vingt centimes le mètre...“ schreit mit schriller Stimme

   ein hübsches junges Mädchen in schwarzem Kleid und weißer Schürze,
   dabei mit einem losen, roten Seidenband wedelnd.
-  „Aucune concurrence!“ preist mit Basstimme ein langer Ladenschwengel,
    in der Tür stehend, seine Pelzhüte und beweist dem vorbeilaufenden
    Publikum gleichzeitig, dass es mit ihnen keinen Regen zu fürchten

    brauche, indem er Wasser aus einer Kristallkaraffe auf sie gießt.

Vor einigen dieser Läden mit Preisschildern an jedem einzelnen Warenstück
ballt sich das Publikum, kramt in den Sachen herum, feilscht, kauft  und

verstopft das Trottoir fast vollständig, so dass die Nichtinteressierten sich

durch die Menge wühlen und stoßen und auf die Fahrbahn ausweichen müssen,

um vorwärts zu gelangen.


Auf der Fahrbahn aber, mitten zwischen durchfahrenden Equipagen,

Omnibussen und Lastfuhrwerken, lavieren Verkäufer mit Bauchläden,

Körben und Handkarren und verkaufen Grünzeug, Obst, Gebäck

und ähnliches. Von überall her hört man Rufe wie „V’la d’s artichauts?

Ma botte d’asperges! Des choux, des haricots! Des poireaux - des carottes!“

Mit diesen Rufen vereinigt sich das Geschrei der Arbeiterkinder, die

den Vorbeigehenden Reklamezettel zustecken oder Ankündigungen

verschiedener Geschäfte und das Geschrei der Zeitungsverkäufer,

die ihre Gazetten  durch die Luft schwenken und nicht verabsäumen

zu berichten, was genau in den jeweiligen Ausgaben zu lesen sei.

Ein ebensolcher Zeitungsjunge stößt, mit seinen Händen fuchtelnd, Glafira
Semjonowna heftig an, so dass sie beinahe vom Gehsteig stürzt und
schimpft: „So ein Schweinehund! Und die Polizei schaut nur zu und macht
   nichts, statt sie von der Straße zu jagen!“
-  „Tatsächlich, wenig Ordnung hier“, stimmt ihr Nikolai Iwanowitsch zu, der
   hinter dem weglaufenden Jungen noch den Regenschirm schwingt, „aber
   was einen wirklich ärgert, ist, dass du den Halunken nicht mal richtig zu
   beschimpfen vermagst, weil du keine Flüche auf Französisch kennst...
   Glascha! Also drei, vier Schimpfwörter musst du mir unbedingt sagen,
   falls ich sie gelegentlich brauchen sollte...“
-  „Wie denn, wenn ich selber keine weiß! Sowas haben sie uns in der
    Pension nicht beigebracht... sogar zwei Generalstöchter hatten wir...
    die Pension war so... zart, so fein, so taktvoll...“
-  „Ja, scheint so... aber du müsstest doch wissen, was мерзавец auf
    Französisch heißt...“
-  „Nein“.
-  „Und подлец?“
-  „Auch nicht, ich hab doch gesagt, alle waren so feinfühlig...“
-  „Also auf Russisch schimpfen ist sinnlos, das versteht er ohnehin nicht“,
    überlegt Nikolai Iwanowitsch, „und дубина - weißt du auch nicht?“
-  „Nein. Holz ist arbre, aber дубина - keine Ahnung. Nimm doch einfach
    andere Wörter: cochon und l’âne, das sind Esel und Schwein“.
-  „So, meinst du, der Blödmann, der dich angestoßen hat, ist ein Esel oder
    Schwein? Nee, das ist zu leicht, da muss man was finden, dass er auch
    spürt“.
-  „Das muss erstmal reichen, zu Hause guck ich nach etwas Stärkerem im
    Wörterbuch - aber Schwein: das ist doch schon handfest“.

Die Gelegenheit zum Schimpfen kommmt nur allzu schnell.

Hinter einer Ecke schießt ein Arbeiter mit einem vollen Korb Fische

hervor und mit dem Ruf „Il arrive, il arrive l’maquereau“ stößt er an

Nikolai Iwanowitsch und, obwohl er sich sofort mit „Pardon, Monsieur“

entschuldigt, wirft dieser ihm noch das Wort ‘cochon’ hinterher.

Dies vernehmend, dreht er sich aus der Entfernung um und

ruft zurück: „Merci, Monsieur, pour l’amabilité“.

-  „Willst noch nicht aufhören, подлец?“ kehrt sich Nikolai Iwanowitsch
    ebenfalls um, wobei er seine Frau fragt, was der Arbeiter gesagt hätte.
-  „Hat sich für deine Liebenswürdigkeit bedankt“.
-  „Welche denn?“
-  „Die mit dem Schwein, wollte dich Höflichkeit lehren. Kaum berührt

    hat er dich und sich entschuldigt, aber du trotzdem...“
-  „Ach, ist einfach ein подлец“, sagt Nikolai Iwanowitsch und droht dem
   Arbeiter sogar mit der Faust, was der nun seinerseits, aber mit einem
   Lachen, erwidert.
-  „Da guck doch - der lacht noch über mich“ ruft Nikolai Iwanowitsch erbost
    und will zu ihm hinstürzen, aber Glafira hält ihn am Ärmel fest.
-  „Bleib doch hier... was willst du hier einen Skandal veranstalten...lass,
   sonst gibts noch eine Schlägerei. Spuck drauf...“ und zieht ihn zum
   Opernplatz.

Kapitel 54

Sale in den Magasins du Louvre

Auf der Place de l’Opéra wird unser Ehepaar von allen Seiten von

Schwarzhändlern umlagert, die Karten für das abendliche Opernspektakel

anbieten. Sie lassen sogar nicht von ihnen ab, als die beiden schließlich

bei einem Gendarmen nachfragen, wie sie zum Magasin du Louvre kämen.

Was unser Ehepaar höchlich verwundert, ist, dass der Gendarm nichts

unternimmt, um diese Belagerung irgendwie aufzuheben.
-  „Schau an: also Schwarzhandel scheint hier erlaubt zu sein“ wundert sich
    Glafira, „vor den Augen des Gendarmen, ach was, vor seiner Nase

    handeln die - und er tut, als sei nichts“.

Äußerst freundlich weist ihnen der Gendarm die Richtung, die unsere Ehe-
leute auch sogleich einschlagen, wobei sich ein unangenehmer Vorfall
ereignet. Sich auf die Wegbeschreibung konzentrierend, vergaßen die
beiden, sich zu bedanken und der Gendarm, darüber gekränkt, ruft sie nach
ein paar Metern an und, als sie sich umdrehen, verbeugt sich mit den
Worten: „Ich bedanke mich für die Höflichkeit“.

Glafira Semjonowna versteht sofort, was gemeint ist und erklärt es ihrem
Mann, der das aber nicht einsehen möchte: „So ein Depp - was soll man

   sich    denn bedanken - dafür hat man ihn doch hingestellt, Leuten

   den Weg zu zeigen...“
-  „Nein, die Leute sind hier alle so heikel, die achten auf Takt und Form“.
-  „Sehr taktvoll, wenn du von allen Seiten angestoßen wirst, wenn die
    Kutscher auf deinen Ruf nicht antworten und sich nur wegdrehen und du
    nicht weißt, ob sie besetzt sind oder nur keine Lust haben, oder wenn die
    Händler dir allen möglichen Kram unter die Nase halten. Vorhin hat mir
    ein Verkäufer seine Gummigaloschen beinahe ins Gesicht gesteckt -
    also von unseren Händlern auf dem Markt wird behauptet, dass sie die
    Leute am Ärmel hielten - aber eigentlich ist es hier noch schlimmer“.

Sich unterwegs immer wieder durchfragend, schafft es unser Ehepaar
letztlich, die Magasins du Louvre zu finden und betritt sie durch eine der
weit geöffneten, breiten Türen. Bereits im Eingangsbereich wundern sie
sich über die Menge der Käufer, die an den Warenständen verweilt, über
denen ein riesiges Schild mit der Aufschrift ‘occasion’ hängt, was ja genau
genommen ‘Gelegenheit’ bedeutet.


Männer und Damen wühlen in den ohne System verteilten Warenhaufen,

die aus Bändern, Spitzen, Kopf-, Hals- und sonstigen Tüchern bestehen

und studieren die angesteckten Preise. Ein Verkäufer mit Bleistift hinter

dem Ohr schaut sich den Menschenschwarm nur an und ruft minütlich:

"Die Preise sind angeschrieben.... Wählen Sie selbst...

 Die Preise stehen fest...“

Unser Ehepaar muss sich durch die Menge arbeiten. Im Geschäft selbst
herrscht ebenfalls Gedränge, an verschiedenen Stellen hängen Schilder mit
den Aufschriften Kasse Nr.1, Nr.2 usw. Die Waren sind auf den Tresen

ausgelegt, liegen in großen Stapeln auf dem Fußboden oder in Regalen

oder hängen an den Wänden. Und was es nicht alles gibt: Stoffe aus aller

nur möglichen Materie, ganze Berge von Handschuhen, Korsetten, fertigen
Kleidern, Bändern, Schuhen... und überall dazwischen drängen sich die Käufer,

von denen die Damen natürlich in der Mehrheit sind.

 

Die Verkäufer und Verkäuferinnen, ausnahmslos ganz in Schwarz und mit

dem unvermeidlichen Bleistift hinterm Ohr, schaffen es kaum, alle Fragen

zu beantworten. Einer von ihnen bedient gleichzeitig zwei, drei Kundinnen.

Ungeachtet der riesigen Ausmaße des Geschäftes ist es warm und

drückend, die Luft ist stickig.

-  „Der ist ja riesig, der Laden“, entfährt es Nikolai Iwanowitsch unwillkürlich,
    nachdem sie gerade zwanzig Schritte gemacht haben.
-  „In einer Beschreibung habe ich gelesen, dass es hier mehr als tausend
    Verkäuferinnen und Verkäufer geben soll“, bemerkt Glafira, deren Augen
    über die Warenauslagen wandern.
-  „Na, dann kauf doch, was du brauchst. Für die Besteigung des Eiffeltur-
    mes habe ich dir ja 400 französische Четвертак zugebilligt“.
-  „Fünfhundert hast du gesagt - nun sag nicht, dass du was abziehen willst!
     Fünfhundert, da kann ich mich gut dran erinnern, vielleicht sogar
     sechshundert!“
-  „Nun kauf schon, kauf. Da hinten, dieser spindeldürre Verkäufer ist frei,
    frag bei ihm nach den Sachen, die du brauchst“.
-  „Alles brauche ich. Aber lass mich doch vorher gucken... mein Gott, wie
    billig dieses Taschentuch mit dem Eiffelturm darauf ist ... nur 60 Centimes
    das Stück... das ist in unserem Geld... wieviel ist das?“
-  „22, 23 Kopeken.. aber das taugt doch nicht...“
-  „Wieso nicht? Als Geschenk reicht es hin...wenn wir nach Hause kommen,
    müssen wir zum Andenken doch Geschenke für die Verwandten und Be-
    kannten haben“.
-  „Vorher kaufst du dir selbst ein Kleid, ich habe dir ja eins versprochen“.
-  „Hinterher. Entendez, monsieur, combien coûte ce mouchoir?“ fragt sie
    einen am Haufen vorbeilaufenden Verkäufer.
-  „Les prix sont écrits, Madame“, antwortet er, ohne stehenzubleiben.
-  „Monsieur, Monsieur, venez ici, je veux s’acheter...“ wendet sie sich an
    einen anderen, der gerade etwas in Papier verpackt.
-  „Tout est ecrit, Madame, il faut choisir seulement... Ayez la bonté...“ ant-
    wortet dieser, ohne sich von der Stelle zu rühren.
-  „Was sind denn das für ignorante Verkäufer hier! Keiner kommt zu mir -
    hören Sie, wer verkauft denn hier eigentlich?“ ruft sie entrüstet, allerdings
    auf Russisch, weswegen auch keine Antwort erfolgt und die Verkäufer und
    Verkäuferinnen sich weiter ihren Aufgaben widmen: irgendwas einpacken,
    irgendwas auf Papier schreiben, irgendwohin laufen.
-  „Such dir doch aus, was du brauchst, und hinterher feilschen wir“, schlägt
    Nikolai Iwanowitsch vor.
-  „Wie soll ich mich denn ohne Verkäufer hier zurechtfinden? Wie lange soll
    ich mich bei dieser Ordnung denn hier durchwühlen?“ ruft Glafira und
   fängt an, aus den verschiedensten Haufen Stücke herauszuzupfen, dabei
   jedesmal ausrufend: „Mein Gott, wie billig... das kostet bei uns das
   Doppelte... ein Franc nur, das sind 40 Kopeken, da zahlst du bei uns einen
   Rubel für... Nikolai Iwanitsch, da nehm ich sechs Stück...“
-  „Bist du wahnsinnig... das ist doch ganz schlechte Qualität...“
-  „Qualität hin oder her, aber wie billig... das ist ja fast geschenkt...“
-  „Aber was willst du denn mit Kopftüchern? Die trägst du doch gar nicht!“
-  „Doch doch... wenn nicht, kriegts eben jemand anders... die kannst du dir
    auch prima um den Hals binden, wenn du in die Banja gehst... und guck
    mal das Hütchen dort, ganz  leicht, mit Papierspitzen...“
-  „So einen Mist setzt du doch selber nicht auf...“
-  „Ach Gott, dann verschenke ich ihn eben... ach, wie billig die Handschuhe
    sind, dreimal billiger als bei uns... da muss ich gleich ein paar mehr...
    Größe 6¼...“

Langsam, sehr langsam wird ein ganzer Haufen allen möglichen Plunders
ausgewählt und Glafira zeigt auf ihn, während sie einen Verkäufer fragt:
   „Payer, il faut payer... combien?“

Der Verkäufer schaut die Sachen durch und notiert ihren Preis auf einem
Zettel. Heraus kommt eine Summe von 42 Francs und ein paar Centimes
und er erläutert ihn.
-  „Vierzig ist in Ordnung“, sagt Nikolai Iwanowitsch, „Quarante, accepte
     quarante, der Rest ist Rabatt. Der Plunder taugt ohnehin nichts“.
-  „Nous avons des prix fixes, Monsieur...“
-  „Jaja, die kennen wir, diese prifixi... überall gibts Rabatt, bei prifixi auch.
    Quarante, mehr zahl ich nicht. Quarante“.
-  „Oh non, Monsieur...“ und er beginnt die Sachen, die er gerade angefangen
    hat, einzuwickeln, wieder auszupacken.
-  „Nous prenons, nous prenons... Quarante deux et centimes aussi...“ nickt
    Glafira ihm zu und bemerkt zu ihrem Mann: „Hier feilschen sie nicht“.
-  „Ist doch Unsinn. Sogar in der anderen Welt wird gefeilscht, und hier
    sowieso“.

Zum Bezahlen bittet der Verkäufer sie zur Kasse.

                                        

Kapitel 55

Aber bitte mit Strass!

Über eine gusseiserne Treppe steigen unsere Eheleute in die zweite

Etage des Warenhauses. Hier gibt es vor allem bereits fertige Kleidung,

für Männer und Frauen, und bereits keine ‘occasionen’ mehr.

Ohne herumliegende Warenhaufen, in denen man nur zufällig etwas finden

kann und ohne annoncierte Preisnachlässe wimmelt es auch nicht derart

von Menschen wie unten. In der Abteilung für Damenmode sind die

Verkäuferinnen und Verkäufer auch modischer, schicker und eleganter

gekleidet, die Herren, meist in schwarzem Frack, wirken überhaupt ein

wenig geschniegelt und geckenhaft.  Mit sorgfältig geschnittenen und

gewachsten Voll- und Oberlippenbärtchen, Haare und Locken geglättet und

mit einem feinen Parfum erinnern sie sehr an Choreographen.

Vor den Käuferinnen bauen sie sich in immer den gleichen, offensichtlich

eingeübten, hübschen Posen auf, wenn sie antworten, senken sie auf eine

eigenartige Manier, wie ein Zirkuspferdchen, ihren Kopf.
 
Auch die Verkäuferinnen unterscheiden sich stark von ihren Kolleginnen

der unteren Etage. Zwar sind auch sie komplett in Schwarz, aber in Kleidern

eigener Wahl, nach der letzten Mode und in unterschiedlichsten Schnitten,

einige sind mit einem eleganten Kopfschmuck aus Spitzen geschmückt.

Zweifelsohne tragen sie Modelle aus dem eigenen Geschäft und fungieren

als lebende Aushängeschilder.

Unser Ehepaar flaniert erst durch die gesamte Etage, um sich dann in

die Abteilung Damenkleider und ‘Confections’ zu begeben. Mit jedem Schritt

wächst Glafira Semjonownas Begeisterung, minütlich bleibt sie stehen

und greift sich irgendwelchen nicht benötigten Plunder, während Nikolai

Iwanowitsch, der alle Einkäufe hinter ihr her schleppt, sich schon vollständig

in einen Lastesel verwandelt hat, als sie die Abteilung endlich erreichen.

-  „Ich würde mich gern irgendwo hinsetzen“, verlangt er schnaufend, ein
    Stühlchen erblickend, „es ist zwar eine unschöne Manier hier in Paris, für
    das Sitzen auf Stühlen Geld zu verlangen, aber jetzt, zum Teufel mit ihnen,
    würde ich auch gern bezahlen“.
-  „Setz dich, setz dich hier hin, jetzt kannst du dich ausruhen, wir sind genau
   da, wo wir hinwollten“ sagt nachsichtig Glafira Semjonowna, „hier ist die
    Abteilung für fertige Kleider, siehst du, da hängen sie in den Vitrinen...
    ach, schau nur, wie wunderschön...“ ruft sie und zeigt auf ein Ballkleid.

Wie aus der Erde gewachsen steht in diesem Moment eine große Verkäuferin

vor ihnen, in einem schwarzen Seidenkleid mit monströsen Puffärmeln,
die ihr beinahe bis an die Ohren gehen, und einem ausladenden Kragen à-la
Marie-Antoinette. Hinge ihr nicht das gelbe Zentimetermaß um den Hals,
könnte man sie für eine Königin aus einer Shakespeare-Tragödie halten.
-  „Das Modell dieses Kleides, Madame, erhielt bei der derzeitigen Moden-
    schau die große Goldmedaille“, spricht sie auf Glafira ein, „C’est le dernier
    mot de la mode...“
-  „Je veux une robe de soie noir...“ entgegnet Glafira, und zu ihrem Mann:
    Ich gedenke, mir ein schwarzes Seidenkleid zu kaufen...“
-  „Hmm...“ brummt Nikolai Iwanowitsch bloß und beginnt, die Pakete mit den
     Einkäufen auf dem Stuhl ablegend, sich Stirn und Gesicht mit dem neuen
     Taschentuch abzuwischen. Sein Schweiß rinnt in Strömen.
-  „Je vous montrerai, Madame, quelque chose d’extraordinaire“, trompetet
    die Verkäuferin und ruft „Mademoiselle Elise! Madame Perroquet!“

Auf ihren Ruf erscheinen sofort zwei weitere Verkäuferinnen und nehmen
Aufstellung. Sie werden dichter herangewunken, stellen sich in der Pose
eines Models vor Glafira Semjonowna auf und beginnen, sich zu drehen.
- „Sie müssen bloß den Schnitt wählen, Madame, dieses hier oder das an-
   dere...“ fährt die Verkäuferin fort, auf ihre Kolleginnen weisend, „und dies
   ist die dritte Fasson...“ und präsentiert sich selbst, dabei Vorder- und Sei-
   tenansicht sowie ihr Hinterteil vorführend.

Glafira Semjonowna versteht wohl, was ihr auf Französisch gesagt wurde,
kann sich aber noch nicht entscheiden: „И cette bien, и сette bien... c’est
    aussi bien ... il faut regardez trois façons...“
-  „Tout de suite, Madame... voulez-vous assoir.. c’est Monsieur votre mari?“
-  „Oui, mari“.

Die Verkäuferin bietet Nikolai Iwanowitsch einen Stuhl an: „Prenez place,
    Monsieur, sie müssen sich wohl eine Zeit gedulden, Damen pflegen sich
    mit der Auswahl ihrer Kleider Zeit zu lassen. Damit Sie sich nicht lang-
    weilen, hier die heutige Ausgabe des ‘Figaro’, bitteschön“.
-  „Merci“, bringt dieser über die Lippen, lässt sich schwerfällig auf den Stuhl
   sinken, öffnet die ihm überreichte Ausgabe, beginnt sie durchzuschauen
   und tut dabei so, als verstünde er etwas.

In der Zwischenzeit zieht die Verkäuferin Kleid um Kleid aus den Vitrinen,
präsentiertt sie und lärmt dabei ununterbrochen um Glafira Semjonowna
herum, aber irgendetwas gefällt dieser jedes Mal nicht.
-  „Je veux c висюлечками... comprenez? C висюлечками... garnit avec
    висюлечками... “ versucht sie zu erklären, “avec же и passemente...
    mit Verzierungen...“
-  „Aber Madame, das trägt doch heute niemand mehr...“
-  „Doch, doch.. j’ai vu au théâtre...и много, много passements... боку...
     an der Seite...“
-  „Mademoiselle Godin“ wieder ertönt die durchdringende Stimme, nun
    eine vierte Verkäuferin herbeizitierend, eine etwas pummelige und nicht
    sehr große Dame.
    Die Verkäuferin zeigt auf deren Kleid und setzt hinzu: „Das ist alles, was
    die aktuelle Mode noch an Verzierung und Strass erlaubt. Die Figur Made-
    moiselle Godins entspricht im Übrigen genau der Ihren, die gleiche wun-
    derbar volle Brust und die kräftige Statur. Hier noch mehr Verzierungen,
    Perlen und Schmuck anzubringen, hieße, die Grenzen der zeitgenös-
    sischen Mode zu überschreiten und unsere Firma zu kompromittieren.
    Wir müssen das Kleid noch für sie ausmessen... voyons, madame...
    ayez la bonté de venir ici...“

Das Kleid über den Arm gelegt, bittet die Verkäuferin Glafira Semjonowna
zur Anprobe hinter den Schirm, kommt aber gleich wieder hervorgesprungen
und bittet Nikolai Iwanowitsch: „Monsieur, möchten Sie nicht zum Schirm
   kommen und sich mit Madame unterhalten, damit ihr während der Tren-
   nung nicht allzu langweilig wird?“

Das war natürlich auf Französisch gefragt, und Nikolai Iwanowitsch guckt

sie nur mit großen Augen an, so dass sie ihn mit Gesten heranbittet und

sogar einen Stuhl direkt vor dem Schirm plaziert. Er setzt sich mit dem

Rücken vor ihn hin, während die Verkäuferin erneut dahinter verschwindet

und ununterbrochen auf Glafira einredet.

-  „Glascha! Verstehst du irgendwas von dem, was sie da plappert?“
-  „Ehrlich gesagt wenig, aber ich glaube, sie will mir etwas aufschwatzen“.
-  „So so...ich glaube, die kaut dir ein Ohr ab und nachher kannst du nicht
    widerstehen.  Aber was anderes... das ist doch ein Geschäft hier, wo du
    alles kriegst, alles haben die. Kannst du nicht fragen, ob die was zum
   Trinken haben für mich - fürchterlichen Durst hab ich“.
-  „Ist das nicht peinlich, Nikolai Iwanitsch“, läßt sich Glafira hinter dem
    Vorhang vernehmen, „überleg doch selbst: wie sollen sie in einem
    Modegeschäft...“
-  „Die haben auch eine Weinabteilung... gut, ausschenken tun sie nicht, aber
    handeln... da wär doch so ein Fläschchen Roter... gibt auch Trinkgeld,
    wenn man das hier machen darf als guter Kunde. Wir sind doch nicht ge-
    kommen, um auf den Groschen zu gucken, wir werden den Franzosen hier
    schon einige четвертак hinlegen, oi oi, deswegen frag ruhig“.
-  „Ich mach den Mund nicht auf... ist doch keine Kneipe hier...“
-  „Na und? In Petersburg haben sie für mich im Tuchladen Bier holen lassen,
    weil ich für ‘nen Hunderter eingekauft hatte“.
-  „Warte noch ein bisschen, dann kannst du nachher von mir aus einen
     Doppelten kippen“.
-  „Ech, das ist hart, nach dem Schinken und dem Käse heut morgen ist
    meine Kehle ganz trocken...“ seufzt Nikolai Iwanowitsch und steckt
    seine Nase wieder in den Figaro.

Kapitel 56

Nach Tula mit Samowar

Mehr als eine halbe Stunde vergeht, und Glafira Semjonowna probiert

hinter dem Schirm immer noch Kleider. Nikolai Iwanowitsch,

still davorsitzend, muss erst anfangen zu gähnen und merkt dann,

wie seine Augen langsam zufallen.

-  „Glascha! Kommst du bald?“
-  „Was heißt hier bald - bis jetzt habe ich noch nicht mal den richtigen

    Schnitt gefunden. Madame versteht mich nicht, und ich verstehe

    sie nicht. Eigentlich kenne ich die Vokabeln für Damenmode,

    aber hier haben sie irgendwelche besonderen Spezialbegriffe,

    die haben sie uns nicht beigebracht“.
-  „Auf die Art bist du ja in einer Stunde noch nicht fertig“.
-  „Kann ich nicht sagen, ehrlich...nach dem Kleid muss ich ja noch eine
    Stola aussuchen, irgendeine benötige ich fürs Theater... und einen Hut
    möchte ich... das geht doch nicht an, wir sind in Paris und ich kaufe

    keinen modischen Hut...“

Bekümmert schabt sich Nikolai Iwanowitsch am Hinterkopf.
-  „Dann könnte ich ja auch im Laden herumgehen und nach unserem Lands-
   mann von gestern Abend suchen, der läuft wahrscheinlich überall herum,
   uns zu finden... ich gucke mal...“
-  „Nikolai Iwanitsch, ich fürchte mich allein...“
-  „Warum das denn, ich komme doch zurück... die Einkäufe bleiben alle hier,
    die kannst du hinter den Schirm legen...“

Nikolai Iwanowitsch steht auf und schlendert durch das Geschäft,

aber schon in der dritten Abteilung, für wasserfeste Stoffe, stößt er

auf den Landsmann, der sich gerade einen Mantel aussucht.

-  „Ah, Verehrtester, wo waren Sie denn abgeblieben? Hab Sie gesucht und
    konnte Sie nicht finden...“ spricht dieser, Nikolai Iwanowitsch erblickend.
-  „Naja, meine Frau ist in die Abteilung für Damenkleider geraten und irgend-
   wie stecken geblieben, sitzt bis jetzt hinter ihrem Schirm und sucht einen
   passenden Schnitt. Mit den Weibern, das kennen Sie selbst, hat man
   immer Kummer... Landsmann! Wollen wir nicht irgendwo einen Schluck
   trinken?  Ich verdurste schon... in einem halben Stündchen kommen wir
   zurück...“
-  „Gehen wir, gehen wir, genau gegenüber ist ein Café“.

Der Landsmann hatte wohl keinen Mantel nach seinem Geschmack

gefunden, und schon wenige Minuten später sitzen beide in dem Cafe

gegenüber des Magasin du Louvre.

-  „Ein Bierchen haben die doch hier, oder?“ fragt Nikolai Iwanowitsch.
-  „Warum denn Bier? In Paris muss man Rotwein trinken..“ sagt der

    Landsmann und bestellt eine Flasche.

Sie stoßen an und unterhalten sich darüber, wo man diniert und wie man den
weiteren Abend verbringen kann.
-  „Ich würde heute Abend gern in eines dieser pikanteren, amüsanteren,
    schärferen Etablissements gehen, in irgendein Café mit so Chansonetten,
    wo verschiedene von diesen schwarzäugigen Kanarienvögelchen singen“,
    bemerkt  Nikolai Iwanowitsch mit einem Lächeln und einem Zwinkern,
    „solche Etablissements gibts doch wahrscheinlich...“
-  „Wie auch nicht, eine ganze Menge sogar... allerdings mit Ihrer Frau, das
    geht nicht, die würde Sie stören...“
-  „Ach was, die kriege ich schon ‘rum“.
-  „Mag ja sein, aber auf keinen Fall wird sie erlauben, dass Sie da mit

    irgendeinem schwärzäugigen Vögelchen anbändeln, so wie Sie sich

    das vorstellen“.
-  „Naja, das kann sein...“
-  „Für solche Sachen muss man allein nach Paris fahren, mit der Ehefrau
    ist das wie im Dienst, da ist man abhängig... ohne sie, ja, da kann sich

    die Seele entfalten, kannst gehen, wohin du willst“.
-  „Ja, das ist wahr...“
-  „Das ist doch auch bescheuert, Alter, nach Tula mit seinem eigenen
    Samowar zu fahren...“ fährt der Landsmann fort.
-  „Wie, worauf wollen Sie denn hinaus?“ staunt Nikolai Iwanowitsch.
-  „Ja, nach Tula fährt man nicht mit dem Samowar, weils da so viele gibt,
     und nach Paris nicht mit seiner Baba, weils hier so viele gibt, dass man
     sich vor ihnen kaum retten kann...“
-  „Ach so, na, das ist natürlich richtig... aber wenn man die Last schon mal
    dabei hat, kann man nichts machen, die wirst du nicht los. Also, wo kann
    man denn dinieren, kennen Sie Paris?“
-  „Ja, kenne ich, bin schon das zweite Mal hier“.
-  „Dann sagen Sie doch, wo man satt wird, die hiesigen Abendessen sind
    alle ein wenig dürftig...“

Der Landsmann überlegt und fragt: „Waren Sie schon einmal beim
    Rôtisseur?“
-  „Was ist ein Rôtisseur?“
-  „Der grillt, Spezialist für Gegrilltes, hat eine große Imbissbude... keine
    Angst, keine Angst, nicht in der Art unserer petersburger, wesentlich
    schicker. Wir suchen uns ein schönes Stück Fleisch oder Geflügel aus -    
    und er brät das für uns“.
-  „Das hört sich doch gut an, da kann man auch ein bischen mehr bestellen
    und essen, bis man platzt. In den hiesigen Restaurants servieren die
    doch Portionen, die für einen Spatzenschnabel zu klein sind. Truthahn,
    gibts den auch?“
-  „Ganze Eber braten die da“.
-  „Sehr gut, sehr gut... und Theater? In welches Theater? Irgendwas
    Amüsantes...“
-  „Waren Sie schon im amerikanischen Zirkus? Buffalo Bill und das Gefecht
    mit den wilden Indianern?“
-  „Wie sollten wir, Alter, sind doch erst den dritten Tag hier...“
-  „Dann fahren wir hin, oder? Ist außerhalb der Stadt...“
-  „Also Truthahn im Imbiss und Indianer im Zirkus... einverstanden...!“

Nachdem er den Rest der Flasche ausgetrunken hat, kommt der Landsmann
wieder mit ins Magasin du Louvre, in dem sich Glafira und die Verkäuferin
immer noch hinter dem Schirm zu schaffen machen.
-  „Glascha, bist du da?“
-  „Ja, hier... stell dir vor, ich habe immer noch nichts Vernünftiges gefunden..“