Kapitel 4

Herbstliches Tohuwabohu

Herbst. Der Regen platscht. Ob ihm das nicht langweilig wird? Den ganzen Tag platschen?
Die gelben Blätter fallen herunter, bald sind die Bäume ganz kahlköpfig. Dann kommt die Nebelzeit, und der große Hofhund verkriecht sich in seine Hütte und schnarcht von morgens bis abends. Manchmal besuche ich ihn, aber er ist dumm und ohne Manieren: wenn ich mit ihm spielen will und ihn vorsichtig am Schwanz zupfe, haut er mir gleich die Pfote über’n Kopf und setzt die Zähne auf meinen Bauch. Dorftrampel.

Nebel  -  Nebel  -  Nebel.
Schmutz  -  Schmutz  -  Schmutz.
Aber plötzlich wird es wieder wärmer.
Von allen Seiten fliegen verrückte Vögel herbei.
Der Himmel bekommt eine Farbe wie Sinas blauer Rock - wenn er gewaschen wurde, und an den schwarzen Zweigen zeigen sich grüne Knospen.
Sie platzen, öffnen sich und erblühen. Wunderbar!
Das nennt man Frühling.

Die Bäume, wie alt sie auch sein mögen, werden jedes Frühjahr wieder jung.
Menschen und erwachsene Hunde dagegen nicht.
Warum bloß? Sinas Onkel hat eine Glatze, sein Kopf ist völlig ohne Fell und
sieht aus wie eine Billiardkugel.
Aber wenn dem Onkel nun im Frühling grüne Grashalme aus dem Schädel wüchsen? und vielleicht noch Blümchen? Oder wenn im April am Schwanzende jedes Hundes eine Knospe blühte?
Also ich würde alles auf der Welt anders einrichten.
Aber was vermag ein kleiner Foxterrier?

Zuhause: Tohuwabohu. Sie sammeln die Teppiche ein und  streuen irgendsoein Naftalin darüber. Herrjeh, wie ich davon niesen muss! Ich betrete schon gar nicht mehr die Zimmer, bleibe draußen auf der Veranda liegen und halte
mir die Pfoten über die Nase. Ich laufe ja die ganze Zeit barfuß, und das
Zeug bleibt an den Pfoten kleben. Welch ein Unglück!

                                          ***

Sina sammelt ihre Bücher zusammen und maunzt. Ihr Bruder liegt in seiner
Karre vor dem Blumenbeet und winselt wie ein Welpe. Ich dagegen, Fox
Mikki, huste wie ein Mensch, zurückhaltend und bescheiden - ich habe Bronchitis.
Packt ihr nur alles zusammen.
Auf keinen Fall fahre ich mit nach Paris.
Verstecken werde ich mich, bei der Kuh im Heu, da findet mich keiner.
Was gibt’s denn da, in Paris?
Ich war auch schon mal da, zum Hundearzt hatten sie mich gefahren.
Straßen gibts da - eine Million, und eine Million, das ist einiges mehr als zehn.

Wohin du auch guckst - Beine, Beine und nochmals Beine. Autos, die
wie besoffene Nashörner röcheln und herumrasen - alle auf mich zu!
Damals habe ich Sinas Röckchen nicht aus den Zähnen gelassen.
Der Maulkorb hat gedrückt, und ständig wurde an der Leine gezogen.
Keine Ahnung, wie man in so einem Karussell leben kann!
Auf keinen Fall.
Um am Fenster zu sitzen und Ladenschilder mit Damenfüssen zu betrachten?

Damit mich die Concierge „Ferkelchen“ nennt? Um mich von Sessel und
Diwan herunterjagen zu lassen? Um mir vorwerfen zu lassen, ich züchtete
Flöhe im Haus?! Ich fabriziere die doch nicht, die wachsen von allein...

O, und was laufen da für fiese Hunde herum!
Bulldoggen mit quadratischen Pfoten, einem umgekrempelten Gesicht und
heraushängender Zunge;  gestreifte Doggen, die wie Schlachter aussehen;
Möpse so wie Kröten, die man in ein Hundefell gewickelt hat;  Schoßhünd-
chen wie haarige Insekten mit Hängeohren und feuchten Augen  -  Fuu!
Wuff! Fuu!

Warum sind Hunde so unterschiedlich, aber Katzen alle nach einer Façon?
Wisst ihr auch, das hat Sina behauptet, daß alle einander ähnlich sind, also Herrchen und Frauchen wie ihre Hunde aussehen und umgekehrt?
Und Mikki und Sina? Natürlich sind wir uns ähnlich, nur unterschiedliche
Schleifen haben wir: ihre grün, meine gelb.

Ach, wie der kalte Wind durch die Tür zieht. Der Mantel liegt auf dem Sofa,
aber anziehen kann ich ihn nicht. Da mag man sagen, was man will:

manchmal sind Hände nützlich.

                                      ***

Der Umzugswagen hat alles mitgenommen. Im Esszimmer - nur Papier
und Müll.
Warum ziehen die Menschen immer von einem Ort zum andern?
Geschäfte, Unterricht, Wohnung ... „Ein Hundeleben“, sagt Sinas Papa.
Wohl kaum, das Hundeleben ist besser, glaubt mir.

Mich haben sie zurückgelassen. Muß mich mit dem Hofhund anfreunden,
nichts zu machen. Damit ich nicht weine, hat Sina versprochen, mich einmal
in der Woche zu besuchen, wenn ich mich gut benehme. Werd’ ich auch!
Ich habe sie sehr lieb: habe ihr heute das Auge geleckt und sie mir die Nase.
Ein wunderbares Mädchen.

Dem Gärtner wurde aufgetragen,  mich zu füttern. Wehe, wenn nicht: seine
ganzen Flaschen schlag ich ihm kaputt. Außerdem mag mich der Schlachter:
gibt mir jedesmal was, wenn er vorbeischaut.

Die Kätzchen sind schon erwachsen, das geht schnell bei ihnen. Mich haben
sie ganz vergessen und pesen wie besengt durch den Park (was heißt eigentlich „besengt“?). Mit ihnen muss ich mich auch anfreunden.

Das Ärgerlichste ist allerdings, dass ich meinen letzten Bleistiftstummel fast
verbraucht habe. Aus dem Schreibtisch haben sie alles mitgenommen.
Warum habe ich bloß nicht daran gedacht, mir einen Vorrat anzulegen!
Lebwohl, Tagebuch ... ich habe Sina angefleht, so angefleht habe ich
sie, am Kleid vor den Schreibtisch gezogen, aber sie hat mich nicht verstan-
den und mir ein Stückchen Schokolade in den Mund gesteckt.

So ein Mist. Ohne Hände ist es schwer, aber ohne Sprache schon ganz
schlecht.

Mein goldenes - silbernes - brillantenes Heftchen. Ich schiebe dich unter den
Schrank, liege da bis zum nächsten Frühling  ... Oje! Wuff! Sina hat gemerkt,
dass ich schreibe... sie kommt! weggenom.......